Wesels Kaiser Wilhelm muss künftig liegen

Das nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörte Denkmal wird unrestauriert in einer Vitrine gezeigt und soll nicht mehr imponieren.

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Wesel. 2,65 Meter hoch, drei Tonnen schwer und aus weißem Marmor mit reichlich Schrammen — so steht Deutschlands Reichsgründer von 1871, Kaiser Wilhelm I., in der Werkstatt des Weseler Steinmetzes Ralf Schlicht. Das Denkmal ist über hundert Jahre alt — und fast ebenso lange gibt es immer wieder Streit in der einstigen preußischen Garnisonsstadt am Niederrhein um die Statue des alten Kaisers (1797—1888).

Jetzt haben die Stadtväter einen salomonischen Kompromiss gefunden: Das nach dem Zweiten Weltkrieg demolierte Denkmal wird wieder öffentlich gezeigt, aber niemand muss mehr zum Kaiser hochschauen. Er kommt unrestauriert in eine Glasvitrine — im Liegen und mit allen Dellen der Vergangenheit. „Mit diesem Kompromiss kann ich leben“, sagt Wesels Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (SPD).

Lob kommt auch aus der Fachwelt: „Die Vitrine mit dem liegenden lädierten Wilhelm liefert wahrscheinlich mehr Denkanstöße als ein restaurierter“, sagt der Düsseldorfer Historiker Prof. Christoph Nonn. „Und auf die Denkanstöße kommt es an.“ Mitte April soll das Denkmal in der Nähe des Weseler Preußenmuseums übergeben werden.

Ernst Joachim Trapp, Bauunternehmer aus Wesel

Die Debatte innerhalb und außerhalb des Stadtparlaments hatte zuvor heftig getobt. War Wilhelm ein konservativer Militarist, wie seine Gegner sagten, der auf die Revolutionäre von 1848 schießen ließ, mit den Sozialistengesetzen die Meinungsfreiheit unterdrückte und Verantwortung für die Serie von blutigen Kriegen gegen Dänemark, Österreich und Frankreich trug? Oder war er der triumphale erste Kaiser nach der Reichseinigung, wie ihn viele Zeitgenossen sahen, neben Reichskanzler Bismarck verantwortlich für die weltweit bewunderte Sozialgesetzgebung im Reich und damit ein Wegbereiter für das heutige Deutschland?

Zum Ende seiner Regierungszeit und nach seinem Tod 1888 wurde Wilhelm jedenfalls verehrt wie heute Popstars. In Wesel wie in vielen anderen deutschen Städten sammelten Bürger Geld für ein Denkmal. Die Weseler Statue wurde 1907 vor dem örtlichen Bahnhof (damals natürlich „Kaiserplatz“) feierlich eingeweiht. Das Hotel am Platz heißt bis heute „Kaiserhof“.

Doch schon nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg kam Preußens Gloria gründlich außer Mode: Gegner bewarfen das Standbild mit Steinen und beschädigten es. Nach dem Zweiten Weltkrieg stießen Unbekannte — möglicherweise britische Soldaten — es vom Sockel. Kopf und Rumpf brachen auseinander. Das Kaiserstandbild landete wenig später in Einzelteilen im Bauhof und Stadtarchiv.

Ein erster Wiederaufstellungsversuch Mitte der 1950er Jahre sorgte für bundesweites Aufsehen und einigen Spott in den Medien. Mitte der 1990er Jahre startete dann der Weseler Bauunternehmer Ernst Joachim Trapp einen neuen Anlauf, den Kaiser aus der Versenkung zu holen. Wesel gehört zu den am stärksten kriegszerstörten Städten Deutschlands. „Wir haben doch fast nichts mehr aus der Vergangenheit“, argumentiert Trapp. Den Durchbruch brachte schließlich der Vorschlag aus der Politik, das Denkmal hinzulegen statt aufzustellen.

Im November 2017 wurde schließlich ein Vertrag zwischen Stadt und Freundeskreis unterzeichnet. Die geschätzten Kosten für Transport, Vitrine und Aufstellung von etwa 30 000 Euro wollen Spender übernehmen. Trapp hätte das Denkmal lieber stehend gesehen, „aber das ist Demokratie“, sagt er. „Vielleicht richten spätere Generationen ihn ja auf.“