Mit dem „verrückten Taxi“ durch Köln
Köln (dpa) - Das „verrückte Taxi“ von Köln ist eigentlich eher klassisch-vornehm. Ein schwarzer, bauchiger Oldtimer aus England mit langer Schnauze und großen Kulleraugen-Scheinwerfern.
Der Chauffeur Mortimer allerdings gilt als eigenwillig: Er fährt seine Gäste in der Millionenstadt jeden Freitag überall hin - nur nicht ans Ziel.
„Sektchen gefällig?“, ruft er den Kopf halb drehend durch die kleine Plexiglasscheibe in den Fond des Wagens. An diesem Abend sind in der Nähe des Kölner Doms sechs Gäste zugestiegen.
Mortimer, der eigentlich Tom heißt, hat sie vorgewarnt: Sie werden nicht dort landen, wo sie hinwollen, dafür aber in Köln jede Menge Neues kennenlernen. „Wer anhalten will, muss laut schreien.“ Die sechs Fahrgäste nicken.
Die weichen Sitze erinnern an ein Sofa aus Großmutters Zeiten. An der samtbezogenen Innenwand des Wagens hängt ein gerahmtes Porträt der Queen. Mit der Fanfare der englischen Nationalhymne brummt der Oldtimer um punkt 20 Uhr los.
Mortimer alias Tom ist eigentlich studierter Sportlehrer. Statt zu unterrichten fuhr er aber 25 Jahre ein wollweißes, normales Taxi. „Ich fand es spannend zu sehen, in welchen Lebenssituationen die Leute waren, die bei mir eingestiegen sind.“ Heute arbeitet er hauptberuflich als Fotograf. Seit letztem Herbst ist er zusätzlich jeden Freitag mit dem „verrückten Taxi“ unterwegs.
Der 51-Jährige sieht sich aber weniger als Stadtführer, sondern mehr als „Stadtverführer“. Verträge wie bei Kaffeefahrten, die ihn verpflichten, bestimmte Häuser anzufahren, habe er nicht, wie er versichert. Er meide Touristen- oder Party-Meilen.
„Mir geht es darum, Menschen zusammenzubringen und ihnen Herz und Seele von Köln zu zeigen“. Auf ein Taxameter verzichtet er. Für den Abend gilt ein Festpreis von 15 Euro pro Person.
Und die Kölner Taxi-Kollegen? Sehen die ihn als Konkurrenz an? „Ach was, er nimmt uns doch keine Fahrgäste weg“, sagt Taxifahrer Achim. Sein Standnachbar Georg fügt hinzu: „Das "Black Cab" ist das einzige in Köln. Wir freuen uns eher, wenn wir den Wagen sehen.“
Chauffeur Mortimer fährt mit seinem Oldtimer gerne langsam. Dann ist die Aufmerksamkeit größer, wie er sagt. Wenn er an einem Taxistand vorbei defiliert und die Fanfare erklingen lässt, schlägt ihm von den wartenden Kollegen am Straßenrand in der Tat ein großes Hallo entgegen.
„Der Mann hatte eine gute Idee, warum sollte er sich damit nicht von den Kollegen absetzen?“, meint Thomas Gräth, Geschäftsführer des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands. „Er sorgt für ein gutes Image der Branche.“ In dem Zentralverband mit Sitz in Frankfurt am Main sind rund 65 Prozent der Unternehmen organisiert, unterm Strich macht das mehr als 53 500 bundesweit genehmigte Taxis.
Viele Anbieter wie Mortimer gibt es laut Gräth in Deutschland aber nicht: „Eine Handvoll vielleicht. Freiburg hat ein Disco-Taxi, mit blinkender Lichtkugel und wummernden Bässen. Auch Quiz-Taxis fahren vereinzelt“, sagt Gräth. Ein weiteres „verrücktes Taxi“ ist ihm nicht bekannt.
1 Uhr, Samstagmorgen: Die Fahrgäste von Mortimer sind längst beim Du und voller Eindrücke. Beim Kreuz- und Querfahren haben sie immer wieder die Orientierung in der eigenen Stadt verloren - für den Chauffeur das größte Lob.
„Wenn ich Sätze voller Überraschung höre wie: "Hier war ich ja noch nie" oder "Allein wäre ich hier nicht hingefahren", weiß ich, dass alles richtig läuft“, sagt Mortimer alias Tom.
Maike, Conny, Klara, Katja, Chara und Jan haben einen bunten Friseursalon im Stil der 50er Jahre kennengelernt, der an diesem Abend eine Waikiki-Beach-Party veranstaltet: Jeder Kunde im Hawaii-Hemd bekommt Rabatt. Bei einem längeren Stopp zum Sonnenuntergang am Rhein spielte ein Streich-Quartett Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. In einem kleinen Atelier-Theater wurde Stand-up-Comedy geboten. Um Durst und Hunger der Rückbänkler zu stillen, parkte Mortimer sein Schätzchen vor einem „Büdchen“ mit Kult-Status. An dem alten Kiosk gibt es auch zu später Stunde noch Kölsch, Mettbrötchen, eine Tube Senf oder Zahnpasta.
„Für einen Urlaub habe ich gerade keine Zeit, jetzt habe ich mein Zuhause von einer anderen Seite kennengelernt“, sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Maike. „Vielleicht sollte man öfter mal loslassen und sich einfach in etwas Neues reinwerfen lassen.“