Mobile Zahnärztin für die Dörfer

So eine wie sie gibt es in Deutschland nur selten: Kerstin Finger fährt mit Bohrer und Pinzette zu ihren Patienten.

Templin. Willi Stolzenburg ist an diesem Morgen als Erster dran. Der Bohrer der Zahnärztin surrt schon. „Ich freue mich, wenn sie kommt“, sagt der 87-Jährige und lächelt. Wenn Kerstin Finger ihre Instrumente zeigt, scheint ihn das im Gegensatz zu vielen anderen Menschen nicht zu erschrecken. Er weiß, dass er mit der 51-Jährigen aus Templin in Brandenburg immer auch einen Plausch halten kann, wenn Bohrer und Spiegelchen seinen Mund wieder verlassen haben.

Finger fährt in der dünn besiedelten Uckermark zu ihren Patienten — und ist damit eine der wenigen, vielleicht sogar die einzige mobile Zahnärztin ihrer Art in Deutschland. Sie wolle nicht nur Zähne ziehen und Löcher füllen, sondern den Menschen anstatt der Kosten in den Mittelpunkt der Behandlung stellen, erklärt sie. „Wir müssen ethisch umdenken, wir brauchen die Beziehung zu den Leuten.“

Einmal pro Woche fährt Finger vor ihrer Praxis in Templin los. Mit dabei sind ihre Assistentin Christine Zessel und die „Einheit“. So nennen die Frauen das tragbare Gerät mit Bohrer und Absauger, das neben Instrumenten und Wattebäuschen im weißen Transporter liegt. Unter den Patienten sind Senioren, Kranke und andere Menschen, die nicht in die Praxis nach Templin kommen können. Die Behandlung findet in der Küche, im Wohnzimmer oder auch mal am Bett statt.

Regelmäßig steuert Finger die Seniorenwohngemeinschaft Haus Karolina in Milmersdorf an. Bewohner Stolzenburg ist schon da. Ihn plagt eine schmerzende Prothese, die gekürzt werden muss. Zudem soll ein Loch im Zahn gefüllt werden. In einem Raum steht ein Rollstuhl als Behandlungssessel.

Hausbesuche habe sie in ihrer 26-jährigen Tätigkeit als Zahnärztin schon häufig gemacht, sagt Finger. „Dann kam der Zufall.“ In einem Fachblatt habe sie von einem Kollegen gelesen, der mit der „Einheit“ nach Nepal fährt. Finger besorgte sich kurzerhand auch eine solche Apparatur und kann sie seit Ende 2010 neben einem Kartenlesegerät und anderen Dingen über die Dörfer transportieren. Seitdem sei sie bei 120 Patienten gewesen.

Das Modellprojekt haben die EU und das Land Brandenburg gefördert. Die Ärztin schreibt außerdem gerade ihre Masterarbeit zum Thema an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), um ihr Projekt auch wissenschaftlich zu begleiten.

Schon jetzt kommt viel Lob. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Brandenburger Kassenzahnärztlichen Vereinigung, Rainer Linke, sagt, dass eine Ausweitung der Idee auf andere entlegene Regionen denkbar wäre — auch wenn es mit 1624 Zahnärzten in der Summe genug in der Uckermark gebe.

Auch bundesweit herrsche kein Mangel, sagt der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dietmar Oesterreich. Allerdings wollten sich nur wenige auf dem Land niederlassen. Wissenschaftliche Analysen sähen mobile Zahnarztpraxen als Lösungsansatz für die Versorgung pflegebedürftiger Patienten.

Gäbe es Kerstin Finger nicht, müsste sie mit den Patienten zur Praxis fahren, sagt die Leiterin vom Milmersdorfer Haus Karolina, Elke Haufe. So spare sie viel Zeit und Kosten.