Vor 50 Jahren "Moby Dick" im Rhein war für Fachwelt Sensation
Ein Besucher aus der Arktis versetzt die Menschen am Rhein vor 50 Jahren in Aufregung: Ein weißer Wal hat sich in den Fluss verirrt.
Bonn. Am 18. Mai 1966 funkte die Besatzung eines Tankschiffs an die Wasserschutzpolizei in Duisburg das schier Unglaubliche: Weißer Wal im Rhein gesichtet. Die Polizei glaubte erst, die Männer an Bord seien betrunken. Dann aber entdeckten auch die Beamten den etwa vier Meter langen, strahlend hellen Beluga-Wal im trüben Rhein. Die Sensation war perfekt.
„Moby Dick“, wie der Wal nach dem gleichnamigen Roman genannt wurde, elektrisierte die Menschen. Der damalige Direktor des Duisburger Zoos wollte das exotische Tier fangen, die Mehrheit aber wünschte dem verirrten Wal die Freiheit. Von Duisburg bis hinter Bonn standen die Menschen in Scharen am Flussufer. Jeder wollte „Moby Dick“ erblicken, das große, kälteliebende Säugetier aus der Arktis.
„Ich habe ihn etliche Male gesehen, weil er immer in Begleitung von Wasserschutzpolizei und etlichen Sportbooten auf dem Rhein unterwegs war“, erinnert sich Werner Proff. Der heute 77-Jährige war vor 50 Jahren täglich auf dem Fluss als Steuermann auf der „Bismarck“, einem Radschiff der Köln-Düsseldorfer Rheinschifffahrt.
„Moby Dick“ habe er mindestens fünf Male gesehen zwischen Köln und Bad Honnef, sagt der gebürtige Hesse im schönsten Dialekt. Einmal, in Köln, war der Weißwal ganz nah. „War ein schöner Kerl, enorm groß“, erzählt der 77-Jährige. Er ist nach so langer Zeit immer noch beeindruckt. „Hin und wieder hat man gesehen, wenn er eine Wasserfontäne hochgeblasen hat.“
Bis heute weiß man nicht, wie sich der Bewohner aus dem eisigen Meer in den Rhein verirren konnte. „Es ist etwas, was man nicht mehr erleben wird“, da ist sich Volker Grün, Kurator im Duisburger Zoo, sicher.
In den rund vier Wochen im Fluss verlor „Moby Dick“ sein strahlendes Weiß, sah zunehmend scheckig und grau aus, erinnert sich Proff. Der Rhein war damals eine trübe Brühe, die Wasserqualität viel schlechter als heute.
Aber der Wal muss trotzdem etwas zu fressen gefunden haben. Das Tier schwamm den Fluss rauf und runter, er fand den Ausgang Richtung Meer nicht. Mit Netzen, Stangen, Betäubungspfeilen und -pistolen versuchten die selbst ernannten Waljäger den weißen Koloss zu fangen. Der aber ließ sich nicht kapern, zog seinen markanten, massigen Kopf immer wieder aus der Schlinge. In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn stahl er sogar der Politik im Bundestag die Schau: Die Pressetribüne war mit einem Mal leer, als die Nachricht vom nahen Wal die Runde machte.
Auf der Höhe von Bonn brachte der vier Meter lange Weißwal sogar das gewaltige Radschiff „Bismarck“ von Werner Proff in Schwierigkeiten: Denn als der Wal auftauchte, waren die Passagiere nicht mehr zu halten und rannten zu der Seite. „Das Schiff hat Schlagseite bekommen, dass wir nicht mehr fahren konnten. Alles wollte den weißen Wal sehen“, erinnert sich der damalige Steuermann.
Wegen der Schräglage polterten im Schiff Porzellan und Gläser aus den Schränken: „Alles rausgefallen, da haben Berge von Glas und Scherben gelegen“, erinnert sich Proff. Er war später lange auf dem Rhein als Kapitän unterwegs und lebt heute in der Nähe der Loreley in Rheinland-Pfalz.
Nach etwa einem Monat und mehreren Kehrtwendungen schwamm „Moby Dick“ doch noch erfolgreich Richtung Meer. Um den 16. Juni erreichte er endlich die Nordsee. Einen „Moby Dick“ gibt es seit 1976 wieder auf dem Rhein: Das Ausflugsschiff in Form eines Wals fährt zwischen Köln, Bonn und Linz. Und die Wasserschutzpolizei Duisburg verwendet für ihren Polizeifunk immer noch den Funkrufnamen „Beluga“ - das kann kein Zufall sein.