Monheim lässt kein Kind zurück
Immer mehr Kinder landen in Heimen. Das ließe sich mit frühzeitiger Hilfe für Familien verhindern. Eine Stadt macht es vor.
Monheim. Die Zahlen steigen seit Jahren, und sie müssen beunruhigen. Waren 2007 in Nordrhein-Westfalen noch 17 840 junge Menschen in Heimen untergebracht, so befanden sich 2011 25 625 Kinder und Jugendliche „in Heimerziehung oder sonstiger betreuter Wohnform“, wie es das Sozialgesetzbuch nennt.
Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht darin eine stärkere Sensibilisierung der Behörden angesichts von Schlagzeilen um Kindesmisshandlung. Doch er räumte gegenüber der „Neue Ruhr Zeitung“ auch ein, dass die Zahlen eine Zunahme von „problematischen Familienverhältnissen“ spiegeln.
In Monheim (Kreis Mettmann) weiß man genau, wovon die Rede ist. „Um die Jahrtausendwende gab es hier einen massiven Anstieg der Heimunterbringungen, die hatten sich innerhalb eines Jahres verdoppelt“, sagt Jugendamtsleiterin Annette Berg. „Beim Blick in die Akten fiel dann auf, dass es in 100 Prozent der Fälle bereits Probleme im Kindergarten gegeben hatte.“
Die Kommune forschte nach Ursachen. „Je mehr arme Familien in einer Stadt leben, desto mehr Kinder in Heimen gibt es“, sagt Berg. „Nicht jedes Kind, das arm ist, ist auch arm dran. Aber je mehr Probleme eine Familie hat, desto weniger sind die Bedürfnisse des Kindes im Fokus.“
Armut und fehlende Chancengleichheit haben in der Kommune, wie andernorts auch, ein städtebauliches Gesicht. Uniforme mehrgeschossige Wohnblocks dominieren das Berliner Viertel. Dort leben auf engem Raum Menschen verschiedenster Nationalität — insgesamt ein Viertel der Monheimer Bevölkerung.
Die Stadt sagte den Folgen von Kinderarmut den Kampf an. Weg von der Reaktion auf Defizite im Sinne eines Reparaturbetriebs, hin zu Prävention. Mit „Mo.Ki“ (Monheim für Kinder) wird das konkret — getragen von der Idee des Förderns von Eltern und Kindern und von der Absicht, so früh wie möglich bei Familien zu sein, die in eine Krise geraten. Der Begrüßungsbesuch der Familienhebamme bei einem Neugeborenen markiert nur den Anfang.
Arbeiterwohlfahrt (Awo), Kirchen und Stadt arbeiten Hand in Hand: Die fünf Kitas im Berliner Viertel sind gut vernetzt, Eltern auch nach neun Uhr willkommen. Musikalische Früherziehung ab vier Jahren ist kostenfrei. Jedes Grundschulkind lernt ein Instrument. Es gibt ein Café als Kontaktstelle, Sprachförderkurse in Schulen, Sozialarbeiter an zwei Grundschulen. Seit 2012 wächst „Mo.Ki“ in die Gesamtschule hinein — ein gemeinsames Modellprojekt von Stadt und Awo.
In Monheim wird öfter in der Familie und nicht erst im Heim geholfen
„Wir lassen kein Kind zurück: Dieser Wahlkampfslogan der Landesregierung könnte in Monheim erdacht sein“, meint Inge Nowak, die „Mo.Ki“ seit der Gründung 2002 als Mitarbeiterin der Stadt koordiniert. „Jede Institution vor Ort weiß über alle Hilfen Bescheid. Die Präventionskette reicht heute von der Geburt bis in die weiterführende Schule.“
„Der Erfolg ist schwer zu messen“, räumt Berg ein. Doch nicht ohne Stolz verweist sie auf das Verhältnis von ambulanten (70 Prozent) und stationären (30 Prozent) erzieherischen Hilfen — zu denen die Heimunterbringung zählt. Der Landesdurchschnitt liege dagegen nur bei 56 zu 44.
„Mo.Ki“ versteht sich als „lernendes Projekt“, wissenschaftlich begleitet durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt. Eine OECD-Studie lobte es als „hervorragendes Programm für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung“. Davon schauen sich auch andere Kommunen gern etwas ab, wie der Kreis Heinsberg oder Aachen.