Schmutz-Art Moskauer Künstler malt mit Dreck
Moskau (dpa) - Der russische Künstler Nikita Golubew mag es dreckig. Mit ein paar Pinseln und Wollhandschuhen zieht er am frühen Morgen durch Häuserschluchten aus Plattenbauten in Moskau und hält Ausschau nach möglichst schmutzigen Lastwagen.
Nach wenigen Minuten wählt er einen eigentlich weißen Transporter aus. Ein tiefdunkles, gleichmäßiges Braun macht die Rückwand zur idealen Leinwand für sein nächstes Kunstwerk. Denn Golubews Leinwände sind Flächen aus Dreck, der gesammelte Schmutz der Straßen in der russischen Hauptstadt.
„Es ist wichtig, dass der Dreck dicht ist, um einen möglichst starken Kontrast herausarbeiten zu können“, sagt Golubew. „Zu fest sollte der Schmutz aber auch nicht sein.“ Beherzt setzt er die ersten Striche, indem er mit einem mittleren Malerpinsel Schicht um Schicht den Schmutz abschabt. Nur 45 Minuten später soll das Gesicht eines Löwen mit wallender Mähne die gut zwei mal drei Meter große Frachttür des Transporters schmücken.
Golubews Bilder sind Graffiti aus Schmutz und Staub. Aus den unzähligen, unvergleichlich dreckigen Lastwagen, macht der 35-Jährige fahrende Kunstwerke, die im Internet Aufmerksamkeit erregen.
„Die Idee hat schon lange in mir geschlummert, glaube ich“, erzählt der Künstler der Deutschen Presse-Agentur. Die großen Flächen auf den immer schmutzigen Autos seien ideal für Bilder. „Der Schmutz ist ja schon da und völlig umsonst.“ Warum die Moskauer Straßen so verdreckt und staubig sind, dass die Autos davon eine neue Farbe bekommen, kann sich Golubew auch nicht erklären. „Im Winter wasche ich mein Auto nicht. Es wäre ja sofort wieder dreckig.“
Platte an Platte reihen sich Wohntürme an der Metro-Haltestelle Jassenewo. Seit einem Monat zieht Golubew zwei bis drei Mal pro Woche gegen 6.00 Uhr morgens durch seinen Stadtteil ganz im Süden der Millionenmetropole. Dutzende Fahrzeuge hat er seitdem verschönert.
„Die Autos bleiben in der Regel in diesem Teil der Stadt. Hin und wieder sehe ich eins auf der Straße“, sagt er. Probleme hat er wegen seiner Straßenkunst noch nie bekommen. „Einmal kam ein Lkw-Fahrer und war so begeistert, dass er mich gefragt hat, ob ich das Bild nicht auch in Farbe malen kann. Niemand hat etwas gegen meine Arbeit. Das ist ja auch nur Dreck.“
Golubew sieht den Künstlerberuf als Berufung. Eigentlich ist er studierter Kinderarzt. Doch er hat nie als Mediziner gearbeitet und kann es sich auch nicht mehr vorstellen. „Irgendwann habe ich gespürt, dass ich mehr zeichnen muss.“ So wurde sein Hobby zum Beruf.
Seit einigen Jahren arbeitet Golubew als freier Illustrator. Im Moment ist ein kleines Studio für Zeichentrickfilme sein wichtigster Auftraggeber. Nach seinen morgendlichen Ausflügen für neue Lkw-Graffiti arbeitet er in einem kleinen Büro in der Wohnung seiner Eltern. Mit seiner Frau und den zwei kleinen Töchtern (drei und sechs Jahre) wohnt der gebürtige Moskauer ganz in der Nähe.
Nach und nach verwandeln sich harte Striche in weiche Gesichtszüge einer Raubkatze. Alle paar Sekunden geht Golubew ein paar Schritte zurück, schaut auf eine Skizze und nimmt Maß. In kleinen Wölkchen staubt der abgekratzte Schmutz von der Lkw-Tür und verliert sich in der frischen Morgenbrise.
„Ich mag am liebsten Tiere, die haben Charakter“, sagt er, als das Werk vollendet ist. Zufrieden steht er in der Frühlingssonne und setzt seine Signatur darunter - „ProBoyNick“, in Anlehnung an das russische Wort für Locheisen, das er als Künstlername nutzt.
Neulich habe ein russischer Fernsehsender ihn gefragt, ob er vor laufender Kamera ein Bild zum Tag des Sieges am 9. Mai machen kann, einem der wichtigsten Feiertage in Russland. „Ich habe abgelehnt“, sagt Golubew. Er wolle keine Politik machen mit seiner Kunst.
Aber seine harmlosen Fantasiebilder und Tierporträts will er weiter malen, auch um bekannter zu werden. „Der Sommer fängt gerade erst an“, sagt er. „Vielleicht überlege ich mir auch einmal Straßenkunst mit Farben. Irgendwo, wo es niemanden stört.“