Münsterland: Des Herzogs wilde Pferde

Im Münsterland lebt die letzte wilde Herde Deutschlands — abgeschieden, ohne Hufschmied und Tierarzt.

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Düsseldorf. Mit wehendem weißen Haarschopf steht Rudolf Herzog von Cro inmitten von mehr als 400 Wildpferden, und alle gehören sie ihm. Wie fühlt sich das an? Der sonst recht mitteilsame Mann sucht nach Worten. „Es gibt keinen besonderen Besitzerstolz“, murmelt er, „es ist eine Verpflichtung.“

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Hier im Merfelder Bruch in Westfalen hört man nur den Wind, die Vogelstimmen und das Grasen der unersättlichen Pferdemäuler. Die Herde verteilt sich über eine große Wiese am Waldrand. Wild im Sinne von ungestüm wirken diese Ponys ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es ist ein Bild vollkommener Ruhe. Das Fell der Pferde deckt alle denkbaren Brauntöne ab, über den Rücken zieht sich eine wie mit dem Pinsel gemalte Linie, der sogenannte Aalstrich.

Viele Stuten haben Nachwuchs. „Dieses Wiehern ist ein Rufen zwischen Fohlen und Stuten“, erklärt von Cro . „Im Winter hört man das nicht.“ Ein Fohlen mit flauschigem Fell versucht, sich hinzulegen, doch es ist noch so wackelig auf den Beinen, dass es prompt vornüber auf die Nase fällt. Es sei wohl erst wenige Stunden alt, meint von Cro . Ein anderes Fohlen knabbert seiner Mutter an den Ohren, das dient dem Sozialkontakt.

Im Umland wird von Cro nur „der Herzog“ genannt. Diesem Bild wird er durchaus gerecht. Mit einer gewissen landadeligen Noblesse stapft er kerzengerade durchs Gras und lässt seinen Blick über das weite Land schweifen. 1316 seien die Pferde erstmals erwähnt worden, erzählt er. Mitte des 19. Jahrhunderts schuf dann sein Ururur . . . großvater ein Reservat, das den damals gerade noch 40 Tieren das Überleben sicherte.

Von Cro lebt ganz in der Nähe auf einem Anwesen aus dem 15. Jahrhundert, seine Familie verschlug es nach der Französischen Revolution ins Westfälische. Die Historie jedoch scheint ihm lange nicht so viel zu bedeuten wie die Pferde. „Eines ist mir wichtig“, sagt er. „Wir sind keine Pferdezüchter, wir versuchen, eine Art zu erhalten. Meine Pferde sollen keine Schleifen beim Turnier gewinnen, sie sollen mit dem Leben zurechtkommen.“

Die Wildpferde aus dem Merfelder Bruch gehen ohne Hufschmied und Tierarzt durchs Leben, sie haben keinen Stall und keinen Namen. Nur Heu erhalten sie im Winter vom Menschen. Und manchmal, wenn sich ein altes Tier sehr quält, bekommt es den Gnadenschuss.

Obwohl die Dülmener Wildpferde nur selten mit Menschen in Kontakt kommen, sind sie nicht scheu. Man kann bis auf wenige Schritte an sie herangehen. „Die kennen keine Menschen, von denen Böses ausgeht“, sagt ihr Besitzer.

Einmal im Jahr allerdings, am letzten Samstag im Mai, werden die Pferde in einer Arena vor 15 000 Zuschauern zusammengetrieben. Dann erzittert die Erde unter ihren Hufen, und der berühmte Wildpferdefang von Dülmen beginnt. Männer von umliegenden Bauernhöfen betätigen sich als Fänger: Mit bloßen Händen packen sie den Hals eines jungen Hengstes und versuchen, ihm ein Halfter anzulegen. Anschließend werden die etwa 30 Tiere versteigert. Wenn der Nachwuchs in der Herde bliebe, käme es zu Rangkämpfen. Die unterlegenen Hengste hätten keine Rückzugsmöglichkeit vor ihren Rivalen.

Friederike Rövekamp, die Oberförsterin im Merfelder Bruch, sagt über den Wildpferdefang: „Das ist der beschissenste Tag im Leben der Herde. Aber es ist wenigstens nur einer.“ Nach ihrer Überzeugung gibt es keine bessere Möglichkeit, um die Hengste auszusondern.

Noch immer steht von Cro auf der Weide. Ein Fohlen vollführt tolle Sprünge. „Das hat so richtig Spaß an seinem jungen Leben.“ Manchmal, an lauen Mai-Abenden, würden sechs oder sieben auf einmal Kapriolen schlagen — besser als in der Spanischen Hofreitschule.

Der Pferdeherzog wendet sich zum Gehen. Am Horizont ragt die Arena auf. Für die Jährlingshengste sind die Tage in Freiheit gezählt.