Museum polnischer Juden nimmt Gestalt an
Warschau (dpa) - Es wird gemalt, gehämmert, geschraubt. In einem halben Jahr soll im Museum der Geschichte der Polnischen Juden in Warschau die lang erwartete Hauptausstellung eröffnet werden - ein Gang durch tausend Jahre jüdischer Geschichte in Polen, präsentiert auf einer Fläche von 4200 Quadratmetern.
„Die Ausstellung ändert sich mit jedem Tag. Täglich entsteht ein neues Element“, sagte Barbara Kirshenblatt-Gimblett vor kurzem bei der Vorstellung der ersten Ausstellungselemente. Die Professorin der University of New York hat das Konzept der Ausstellung erarbeitet, die vom toleranten Polen als „Paradies der Juden“ über die Welt der Stetl bis hin zu den nationalsozialistischen Todeslagern im deutsch besetzten Polen im Zweiten Weltkrieg und in die Gegenwart reicht.
Eigentlich sollte die Hauptausstellung mit dem Rest des Gebäudes vor gut einem Jahr am 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto eröffnet werden, doch es kam zu Verzögerungen. Bis Ende Oktober soll nun alles fertig sein in dem Gebäude, das mitten im einstigen jüdischen Stadtteil Muranów steht, mit Blick auf das Denkmal der Ghetto-Kämpfer.
Dem Interesse an dem Museum hat das Warten auf die Hauptausstellung keinen Abbruch getan - fast 250 000 Menschen besuchten das Museum in den vergangenen zwölf Monaten. Zur Zeit widmet sich eine kleine Ausstellung mit dem Titel „Warszawa, Warsze“ dem jüdischen Leben der Vorkriegszeit, als Warschau 330 000 jüdische Einwohner hatte.
Im Untergeschoss hingegen werden derweil Wandmalereien beendet, die die „erste Begegnung“ westeuropäischer Juden mit dem mittelalterlichen Polen zeigen. Auch an der Welt des „Stetls“ wird gezimmert. Zentrales Stück dieses Ausstellungskapitels ist eine reich bemalte hölzerne Synagoge aus dem heute ukrainischen Gwozdziec - ein Nachbau mit traditionellem Handwerkszeug und Baumethoden des 18. Jahrhunderts, denn die Originalsynagoge wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Das Museum, so betonen Kirshenblatt-Gimblett und Museumsdirektor Dariusz Stola immer wieder, soll ein „Ort des Lebens“ sein - keine leichte Aufgabe in dem Land, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg die größte jüdische Diaspora Europas zu Hause war und das durch die nationalsozialistischen Massenmorde zum Ort der Vernichtung wurde. Das Ausstellungskapitel „Zaglada“ über den Holocaust ist ein zentrales Stück der Hauptausstellung.
Die Historikerin Barbara Engelking, die diesen Teil der Ausstellung konzipierte, sah sich bei ihrer Arbeit vor einem Dilemma: „Das ist das siebte und damit vorletzte Kapitel. Wenn die Besucher die Ausstellung erreichen, ist ihre Aufnahmekapazität schon eingeschränkt.“ Wie kann man da dem Massenmord an sechs Millionen Menschen gerecht werden?
Engelking will, dass die Besucher nicht nur Informationen über den Holocaust erhalten, sondern auch über das Leben zwischen Anpassung und Widerstand. Beispielhaft werden Adam Czerniakow, der Vorsitzende des Judenrats im Warschauer Ghetto, und Emanuel Ringelblum, Organisator des geheimen Ghetto-Archivs, vorgestellt. Symbolisch können die Besucher über die Ghettomauer in den „arischen Teil“ Warschau blicken und Beispiele der unterschiedlichen Reaktionen sehen - Gleichgültigkeit, Mitleid und Solidarität, aber auch offene Genugtuung angesichts des Schicksals der Juden. Es sollen Beispiele der Rettung von Juden gezeigt werden, aber auch die Pogrome an jüdischen Einwohnern in ostpolnischen Städten.
Die Historikerin setzt auch auf die Symbolkraft des Ortes: „Das ist die Einzigartigkeit dieses Museums - es ist genau dort, wo das Ghetto war, wo all das geschehen ist. Es steht an der gleichen Adresse, unter dem gleichen Himmel.“ Während an der neuen Hauptausstellung gearbeitet wird, steht schon fest, dass die Besucher am Ende des „Korridors der Schoah“ mit kahlen Wänden konfrontiert werden: „Das ist die Leere, die geblieben ist“, sagt Engelking. „Die Leere nach dem Tod von drei Millionen polnischen Juden.“