Mutter des Solinger Terrorverdächtigen: „Habe ihn oft gewarnt“
Die Sorgen und Gefühle der Mutter eines in London inhaftierten, terrorverdächtigen Solingers (23).
Solingen. Marlies B. (57) hofft auf Mittwoch. Denn dann steht vor einem Londoner Gericht der Haftprüfungstermin an. „Wenn alles gut läuft“, redet sie sich immer wieder ein, „dann werde ich meinen Jungen bald wieder in die Arme schließen können.“
Von dem die 57-jährige, resolut auftretende Frührentnerin so liebevoll spricht, das ist ihr Sohn Robert. Der 23-Jährige ist einer der beiden terrorverdächtigen Solinger Islamisten, die am 15. Juli bei der Einreise nach England festgenommen wurden und seitdem in einer Londoner Justizvollzugsanstalt in U-Haft sitzen.
Im Gepäck von Robert B. und dem ebenfalls zum Islam konvertierten Christian David E. (28) waren Anleitungen zum Bombenbau, zur Häuserzerstörung, das Buch „Die 39 Wege zum Dschihad“ sowie das islamische Magazin zum heiligen Krieg „Inspire” gefunden worden. Die englische Anklagebehörde spricht von „einer ernsthaften terroristischen Bedrohung“.
Sichergestellt wurden bei den beiden Islamkonvertiten, die den Salafisten, einer besonders radikalen Gruppierung, angehören sollen, zudem fünf Mobiltelefone. „Davon waren zwei Handy-Verträge erst kurz vor der Reise abgeschlossen worden“, hat die Mutter inzwischen recherchiert.
Dass die zwei Solinger am Mittwoch wieder auf freien Fuß kommen, sei unwahrscheinlich, meint der TV-bekannte Staranwalt Burkhard Benecken aus Marl. Der 35-Jährige will die Mandantschaft des Solingers mit übernehmen, arbeitet mit der englischen Pflichtverteidigerin des 23-Jährigen zusammen. Sie gilt als Islam-Expertin. Bei der Haftprüfung am Mittwoch wird der Marler aber nicht zugegen sein.
Zwei Briefe hat Marlies B. an ihren Sohn in U-Haft geschickt, aber noch keine Antwort erhalten. „Umso glücklicher bin ich, dass die Verteidigerin mir geschrieben hat, dass Robert den Kontakt zu mir ausdrücklich wünscht“, zeigt sie den Brief aus London. Darin ist aber auch angekündigt, dass es, falls es zur Anklage kommt, acht Monate bis zum Prozess dauern wird.
„Irgendwann hat sich Robert mir entfremdet“, räumt die Mutter ein, „obwohl ich ihm stets viele Freiheiten eingeräumt habe und auch er mir gegenüber stets sehr offen war.“ Die Frau stammt aus der ehemaligen DDR, wurde dort lange von den Behörden schikaniert und landete schließlich wegen versuchter Republikflucht im Gefängnis. Von der Bundesregierung wurde sie 1985 freigekauft. „Ich war und bleibe eine Kämpferin“, sagt die Mutter forsch. „Und das mit meinem Robert stehe ich auch noch durch.“
Robert sei ein unauffälliger, aufmerksamer und hilfsbereiter Junge gewesen. „Probleme hatte er in der Realschule erst, als sein Vater früh starb.“ Er wechselte zweimal die Schule, weil er — so die Mutter — pausenlos gemobbt worden sei, sich aber nie gewehrt habe. Mit 17 habe er den Hauptschulabschluss gemacht, sich dann zur Bundeswehr gemeldet. „Er wollte sich verpflichten und hatte die Zusage, dass er nach dem Grundwehrdienst nach Afghanistan kommt“, erzählt die Mutter. „Er wollte das.“
Aber dann sei eine Ladung der Kriminalpolizei gekommen, weil er angeblich rechtsradikales Gedankengut im Internet verbreitet haben sollte. „Das Verfahren wurde eingestellt, doch die Verpflichtung beim Bund wurde nunmehr ablehnt“, so die Mutter.
Robert habe eine Ausbildung zum Lageristen abgeschlossen — „problemlos mit der Note 2“. In dieser Zeit sei dem Sohn ein Faltblatt der Salafisten in die Hände gefallen.
„Schlagartig änderte sich alles“, sagt die Mutter. Der Junge, der „ohne religiöse Zwänge“ aufgewachsen war, lief fortan mit Gebetskappe und langem Gewand herum, habe seine Ess- und Lebensgewohnheiten radikal geändert. „Das alles machte mir große Angst. Fortan habe ich Robert oft davor gewarnt, Unrechtes zu tun.“
Er zog alleine in eine Wohnung, lernte übers Internet Arabisch, konvertierte im Januar 2009 zum Islam. „Er verschloss sich mir immer mehr. Mir ist inzwischen bekannt geworden, dass Robert bundesweit die Veranstaltungen von Pierre Vogel, einem deutschen radikalen Islamprediger besucht hat. Es muss eine Gehirnwäsche erfolgt sein.“
Als er im Oktober 2010 mit einem weiteren Solinger nach Alexandria reiste, um auch dort Arabisch zu lernen, hatte sich die Mutter eine Generalvollmacht des Sohnes ausstellen lassen. „Ich hatte ein verdammt komisches Gefühl, habe darum auch den Staatsschutz informiert — allein aus Sorge um Robert.“
Dass er sich, wie die Kontoauszüge belegen, erst Mitte Juli kurz vor der Reise nach England ein Fly+Rail-Ticket gekauft hat, war ihr nicht bekannt. Auch nicht, was ihr Sohn in England wollte. Marlies B.: „Genau das macht mir unendlich große Sorgen.“