Nach dem Amoklauf: Land der Pisa-Sieger steht unter Schock
Finnen debattieren über härtere Waffengesetze. Warum war der Täter so hasserfüllt?
Kauhajoki. Zwei Tage nach dem Amoklauf von Kauhajoki sucht Finnland nach Antworten: Wie konnte so etwas passieren? Wie konnte schon wieder ein junger Mann mit einer Schusswaffe in eine Berufsschules marschieren und wahllos Menschen töten? Ohne, dass vorher jemand etwas bemerkte?
Dass der 22-jährige Berufsschüler Matti Saari - wie die Polizei sagt - aus purem Hass Amok gelaufen ist, reicht den Finnen nicht als Erklärung für diese Bluttat. Ihr Land, das seit der Pisa-Studie europaweit als leuchtendes Vorbild herhalten muss, erlebt binnen eines Jahres zwei schockierende Bluttaten an Schulen.
Nach der ersten im November in Tuusula war das Selbstbild der Finnen bereits tief erschüttert. Kaum jemand glaubt mehr, dass die große böse Welt nur jenseits der Grenzen existiert. Der Blick muss sich tief in die Gesellschaft richten - und vor allem auf die Erlebniswelt der Jugendlichen.
Die Politik jedoch diskutiert vor allem über Waffengesetze. Es gibt etwa 1,6 Millionen Waffen in Finnland, 650 000 Menschen - zwölf Prozent der Bevölkerung - haben einen Waffenschein. Im Land der tausend Jäger ist das nicht unbedingt beunruhigend.
Aber wie leicht sich ein Bürger eine Handwaffe besorgen kann - nötig sind nur ein, zwei Stunden auf der Übungsbahn und das Versprechen, Schießen als Hobby im Verein betreiben zu wollen -, das können viele Finnen nicht akzeptieren. Doch die wahren Ursachen liegen tiefer:
Nach einer Studie von Kela, der zentralen Organisation für die Sozialversicherung, hat jeder sechste finnische Jugendliche psychische Probleme. Sie werden oft nicht bemerkt oder bleiben unbehandelt. Der Grund dafür: In den vergangenen Jahren wurde ständig an der Gesundheitspflege der Schulen und der psychologischen Betreuung Jugendlicher gespart.
Im Schnitt behandelt eine Schulkrankenschwester etwa 800Schüler. Und das in einem Land, das weltweit für sein vorbildliches Sozialsystem gerühmt wird.
Trotz dieser Hintergründe bleibt die Frage, warum ein junger Mann so voller Hass ist. Ist es die Einsamkeit kleiner Städte wie Kauhajoki? Das Internet-Zeitalter, in dem man Kontakte vor dem Computer knöpft und nicht bemerkt, wie einem die Freunde in der realen Welt fehlen?
"Besonders junge, stille Männer haben es schwierig", sagt Krisenpsychologin Salli Saari in einem Interview mit dem finnischen Fernsehen. "Oft greifen sie zu Gewalt, bewundern Gewalt, können aber nicht die Folgen eines Gewaltaktes verstehen." In der Gesellschaft, vermutet Saari, gehe es zu sehr um Leistung: "Wie man zu einem ausgeglichenen Menschen heranwächst und seine Persönlichkeit in aller Ruhe reifen lässt, darüber wird kaum gesprochen."
Trotz solcher Analysen, trotz härterer Waffengesetze und trotz des vermutlichen Budget-Zuwachses in der psychologischen Gesundheitspflege wird es wohl irgendwann wieder einen Amoklauf in Finnland geben. Die einzige Hoffnung ist, dass sich in der Zwischenzeit zumindest die eine oder andere Bluttat verhindern lässt.