Nach Einsturz in Genua: Was ist mit den Brücken in NRW?

Ein über 100 Meter langes Stück der Morandi-Brücke fällt aus 40 Metern Höhe herab. Die Ursache ist zunächst unklar. Besteht eine ähnliche Gefahr auch bei Bauwerken in NRW?

Rettungsarbeiten unter den Trümmern der eingestürzten Morandi Autobahnbrücke.

Foto: Luca Zennaro

Genua/Düsseldorf. Die Morandi-Brücke bei Genua ist am Dienstag auf einem 100 bis 200 Meter langen Stück eingestürzt. Die vierspurige Fahrbahn der berühmten Urlaubsautobahn A10 — der „Autostrada dei Fiori“ — fiel aus mehr als 40 Metern herab, Autos und Lastwagen wurden in die Tiefe gerissen. Mindestens 35 Menschen seien ums Leben gekommen, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Feuerwehr, darunter wohl ein Kind.

Fahrzeuge und Menschen wurden unter den Trümmern begraben, elf Überlebende wurden laut Bürgermeister Marco Bucci geborgen. Der Polcevera-Viadukt, im Volksmund nach dem Architekten Riccardo Morandi auch Ponte Morandi genannt, überquert unter anderem Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet im Westen von Genua. Verkehrsminister Danilo Toninelli sprach von einer „entsetzlichen Tragödie“. Regierungschef Giuseppe Conte wurde am Abend in Genua erwartet. Noch in der Nacht zu Mittwoch ging die Suche nach Überlebenden weiter.

Die Ursache des Einsturzes steht noch nicht fest. Zum Zeitpunkt des Unglücks gab es ein Unwetter, Zeugen berichtetenl laut verschiedenen Medien von einem Blitzeinschlag in die Brücke. Nach Angaben der Betreibergesellschaft Autostrade per Italia waren an dem Ponte Morandi Bauarbeiten im Gange. Wie das Unternehmen am Dienstag auf seiner Homepage mitteilte, sei an der Sohle des Polcevera-Viadukts gearbeitet worden. Auf der Brücke selber habe ein Baukran gestanden. Der Zustand der Brücke sowie der Fortgang der Renovierung seien immer wieder kontrolliert worden. Erst wenn ein gesicherter Zugang zur Unfallstelle möglich sei, könne Näheres über die Ursachen des Einsturzes gesagt werden, teilte das Unternehmen weiter mit. Die Brücke war 1967 eröffnet worden.

Auch in NRW stammt ein Großteil der Autobahnbrücken aus den 60er und 70ern, bei vielen seien „die Tragfähigkeitsreserven allmählich erschöpft“, teilt eine Sprecherin des Landesbetriebs Straßen NRW auf Anfrage mit. Das Problem: „Sie sind ursprünglich für deutlich geringere Verkehrsbelastungen geplant und gebaut worden.“ Bis 2050 soll etwa der Güterverkehr noch einmal um 80 Prozent zunehmen, ein Lkw habe die gleiche Zerstörungswirkung wie 60 000 Pkw.

Eine eigene Projektgruppe befasst sich damit, die in die Jahre gekommenen Bauwerke zu überprüfen. 1119 Brücken, die auf den Hauptrouten des Schwerlastverkehrs liegen, werden besonders ins Auge gefasst. Bislang wurden 547 von ihnen überprüft, so die Sprecherin, 336 „sind mittel- bis langfristig zu ersetzen“ — das heißt: in zehn bis 30 Jahren.

„Aktuell besteht jedoch keine Gefahr, dass es zu Einstürzen kommt“, versichert die Sprecherin. Die Brücken würden laufend geprüft. Über Blitzableiter verfügten nur die exponierten Rheinbrücken mit hohen Pylonen, allerdings seien den Experten des Landesbetriebs keine Fälle bekannt, bei denen eine Brücke durch Blitzschlag gravierend beschädigt wurde.

Anders sieht das Bauingenieur und Architekt Richard J. Dietrich. "Unsere Brücken verrotten gefährlich, ein Einsturzrisiko kann inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Mittwoch.

Genua: Autobahnbrücke "Ponte Morandi" eingestürzt
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Genua: Autobahnbrücke "Ponte Morandi" eingestürzt

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Dietrich, der dem Bericht zufolge selbst zahlreiche Brückenbauten in Deutschland verantwortet, sieht vor allem im überwiegend verwendeten Werkstoff Beton ein Problem: Schäden würden erst spät, wenn nicht gar zu spät sichtbar. "Wenn der Beton Risse hat, durch die Feuchtigkeit eindringt, löst sich irgendwann der Zement auf, dadurch rostet die freigelegte Stahlbewehrung, und spätestens dann leidet die Stabilität."

Dietrich sprach sich für die Rückkehr zu Stahlbrücken aus, die deutlich langlebiger und weniger anfällig für Schäden seien.

Das NRW-Verkehrsministerium gibt hingegen Entwarnung. Sonderkontrollen müsse es nach dem Einsturz in Italien nicht geben. dpa/juki