Notstand ausgerufen Weiter Vermisste unter Trümmern in Genua

Genua (dpa) - Nach dem Brückeneinsturz von Genua mit rund 40 Toten werden noch viele Menschen vermisst - und die Schuldzuweisungen gehen weiter.

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Mitglieder der neuen populistischen Regierung machten den privaten Betreiber der Autobahn für das Unglück verantwortlich. Die Vize-Regierungschefs Luigi Di Maio und Matteo Salvini zeigten mit dem Finger in Richtung früherer Regierungen und der EU. Die EU-Kommission wies die Kritik zurück.

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Italiens Regierungschef Giuseppe Conte rief in der Stadt den Notstand aus. Der Ausnahmezustand solle für zwölf Monate gelten, sagte Conte nach einem außerordentlichen Treffen des Ministerrats in der Hafenstadt. „Wir wollten diesem Treffen einem symbolischen Wert geben.“ Die Regierung stellte fünf Millionen Euro Nothilfe bereit.

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Während eines schweren Unwetters war am Dienstagmittag der 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10, die auch als Urlaubsverbindung „Autostrada dei Fiori“ bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei ist.

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Papst Franziskus gedachte auf dem Petersplatz vor 20 000 Gläubigen der Opfer. Die Staatsanwaltschaft gab die vorläufige Zahl der Toten mit 42 an, während die Präfektur von 39 sprach. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von 8, 12 und 13 Jahren. 16 Menschen seien verletzt, der Zustand von 12 Menschen sei kritisch, teilte die Präfektur mit.

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Es werde erwartet, dass die Zahlen weiter steigen, sagte Regionalpräsident Giovanni Toti laut Nachrichtenagentur Ansa nach einem Besuch von Verletzten in einem Krankenhaus zusammen mit Regierungschef Giuseppe Conte. Für den Großteil der Verletzten gebe es gute Heilungschancen. Es gebe aber unter der Brücke noch immer „zahlreiche Vermisste“, sagte Toti. Rettungskräfte berichteten von Fahrzeugen, die noch immer in den Trümmern zu sehen seien. Italien will eine Staatstrauer für die Opfer ausrufen.

Unter den Toten der Katastrophe sind auch vier Franzosen. Man stehe in engem Kontakt zu den italienischen Behörden, um herauszufinden, ob möglicherweise noch weitere Landsleute bei der Katastrophe ums Leben gekommen seien, teilte das französische Außenministerium mit. Zwei rumänische Staatsbürger wurden ebenfalls identifiziert, teilte das Außenministerium in Bukarest mit. Ob möglicherweise Deutsche unter den Opfern sind, war nicht bekannt. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, das Generalkonsulat Mailand stehe in engem Kontakt mit den italienischen Behörden.

Genua: Autobahnbrücke "Ponte Morandi" eingestürzt
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Genua: Autobahnbrücke "Ponte Morandi" eingestürzt

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Gegen den Betreiber Autostrade per l'Italia seien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, erklärte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch auf Facebook. Er forderte das Management zum Rücktritt auf. Auch der Fünf-Sterne-Chef und Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio machte das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich, das von allen Vorgängerregierungen gedeckt worden sei. Das Unternehmen verteidigte sich gegen die Vorwürfe: Die Brücke sei alle drei Monate kontrolliert worden.

Nach Ansicht von Innenminister Salvini untergraben die europäischen Vorgaben zum Haushaltsdefizit die Sicherheit des Landes. Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe „nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt“, sagte der EU-kritische Politiker am Mittwoch dem Sender Radio24. „Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben“, prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, „in denen immer mal wieder die Decken einstürzen“, abhängen.

Ein Sprecher der EU-Kommission wies dagegen darauf hin, dass EU-Staaten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen könnten - „zum Beispiel die Entwicklung und den Erhalt der Infrastruktur“. Tatsächlich habe die EU Italien sogar dazu ermuntert, in die Infrastruktur zu investieren.

Augenzeugen hatten berichtet, dass kurz vor dem Einsturz ein Blitz in die Brücke eingeschlagen habe. Doch Staatsanwalt Francesco Cozzi ließ im Gespräch mit RaiNews24 erkennen, dass auch die Ermittler von menschlichem Versagen als Ursache ausgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt von einem Unglück zu reden, obwohl es sich bei der Brücke um ein „Werk von Menschen“ handele, das Instandhaltungen unterzogen worden sei, „erscheint mir ziemlich gewagt“, sagte Cozzi.

Die Infrastruktur in Italien ist vielerorts dramatisch veraltet. Die Katastrophe an der „kranken Brücke“, wie die Zeitung „Corriere della Sera“ sie nennt, lässt nach mehreren weniger dramatischen Einstürzen in den vergangenen Jahren nun die Alarmglocken umso lauter schrillen. Laut der Tageszeitung „La Repubblica“ sind um die 300 Brücken und Tunnel marode.

In Deutschland fühlt sich eine große Mehrheit trotz des Unglücks in Italien auf den Autobahnbrücken sicher. In einer Umfrage der Online-Medien der Funke-Mediengruppe in Zusammenarbeit mit dem Institut Civey gaben rund 78 Prozent der Befragten an, sich „sehr sicher“ (30 Prozent) oder „sicher“ (48 Prozent) zu fühlen. Lediglich 11 Prozent wähnten sich auf deutschen Autobahnbrücken in Gefahr.

Der Polcevera-Viadukt wurde 1967 eingeweiht und führt im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet, er hat eine Gesamtlänge von 1182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren laut Betreibergesellschaft Bauarbeiten im Gange. Mehrmals gab es Diskussionen um eine Alternative für die Brücke, an der ständig gearbeitet werden musste.

Der Ingenieur Riccardo Morandi entwarf Brücken auch in anderen Ländern der Welt: Im Westen von Venezuela etwa überspannt die rund 8,6 Kilometer lange General-Rafael-Urdaneta-Brücke den Maracaibo-See und verbindet die Erdölstadt Maracaibo mit dem Rest des Landes. Im April 1964 riss ein Öltanker zwei Stützpfeiler ein. Sieben Menschen, die zum Zeitpunkt des Unglücks über die Brücke fuhren, kamen dabei ums Leben. Die Brücke ist heute wieder in Betrieb.

In Kolumbien baute Morandi in den 1970er Jahren nahe der Hafenstadt Barranquilla die Pumarejo-Brücke über den Magdalena-Fluss. Aufgrund ihres Designs steht die Brücke schon länger in der Kritik, weil sie recht niedrig ist und damit die Durchfahrt großer Schiffe verhindert. Derzeit wird in der Nähe eine neue Brücke gebaut. Nach der Fertigstellung soll die Pumarejo-Brücke abgerissen werden.