Ärzte lehnen Untersuchungen ab Nach Kandel-Tat: Debatte über Alterstests bei Flüchtlingen
Landau (dpa) - Nach dem gewaltsamen Tod einer 15-Jährigen im pfälzischen Kandel ist eine neue Debatte über Alterstests bei Flüchtlingen entbrannt.
Während die Ermittlungen zu der Bluttat noch laufen, forderte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bundeseinheitliche Verfahren zur Altersfeststellung von mutmaßlich minderjährigen Asylbewerbern. Die Bundesärztekammer lehnte ärztliche Untersuchungen dazu allerdings ab.
Die Altersfrage beschäftigt im Fall Kandel die Ermittler: Als tatverdächtig gilt der Ex-Freund des getöteten Mädchens, ein Flüchtling aus Afghanistan, der nach offiziellen Angaben 15 Jahre alt ist. Der Vater der Jugendlichen hatte der „Bild“-Zeitung vergangene Woche gesagt: „Er ist nie und nimmer erst 15 Jahre alt. Wir hoffen, dass wir durch das Verfahren jetzt sein wahres Alter erfahren.“
Die Leitende Oberstaatsanwältin im pfälzischen Landau, Angelika Möhlig, sagte: „Ermittlungen laufen bezüglich Motiv, Hintergrund der Tat, genauem Ablauf der Tat.“ Dazu gehöre auch, zu sichten, welche Hinweise bislang zum Alter des Verdächtigen vorlägen und diese Erkenntnisse zu bewerten. Bevor man jedoch eine Pressemitteilung veröffentlichen könne, brauche man belastbare Ergebnisse. „Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Tagen etwas herausgeben.“
Nach Angaben des Kreises Germersheim gehen Fachleute aber weiter davon aus, dass der Tatverdächtige nicht volljährig ist. „Eine Volljährigkeit wird derzeit von allen Beteiligten ausgeschlossen“, hieß es in einer Mitteilung des Kreises, dessen Jugendamt den Verdächtigen betreute, vom Dienstag. Darin wird auf eine Untersuchung in Frankfurt im Jahr 2016 verwiesen, der zufolge „eine Varianz von +/- 1 Jahr möglich“ sei.
Die CDU-Politikerin Kramp-Karrenbauer sagte im ZDF-„Morgenmagazin“, es sei das „gute Recht des deutschen Staates“, mit ärztlichen Tests zu klären, ob die Altersangaben mutmaßlich minderjähriger Migranten medizinisch nachvollziehbar seien. Im Saarland müssten sich Flüchtlinge im Zweifel einer Prüfung anhand der Handknochen unterziehen. Bei 35 Prozent dieser Fälle sei festgestellt worden, dass es sich um Volljährige und nicht um Jugendliche handelte.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte die Alterstests hingegen. „Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl“, sagte Montgomery der „Süddeutschen Zeitung“. Das Röntgen des Handgelenks ohne medizinische Notwendigkeit sei „ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“. Laut „SZ“ werden bei Alterstests auch Gewicht, Größe, Zähne, Achselhöhlen, Brust und Geschlechtsteile untersucht.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte, es sei ausreichend, dass Jugendämter nur im Zweifelsfall oder auf Antrag der Betroffenen die Möglichkeit haben, eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Bundestagsabgeordnete der CSU wollen indes auf ihrer am Donnerstag beginnenden Klausurtagung die Forderung beschließen, bei allen minderjährigen Flüchtlingen das Alter festzustellen.
Der Grünen-Politiker Boris Palmer brachte am Dienstag zudem eine Umkehr der Beweispflicht ins Gespräch. „Wer nicht nachweisen kann oder durch eine Untersuchung nicht belegen will, dass er unter 18 Jahren alt ist, wird als Erwachsener behandelt“, schrieb der Tübinger Oberbürgermeister auf Facebook.
Das 15-jährige Mädchen in Kandel war am 27. Dezember in einer Drogerie mit einem Messer tödlich verletzt worden. Nach neuen Erkenntnissen hatte die Jugendliche am 15. Dezember Anzeige wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und Verletzung persönlicher Rechte gegen ihren Ex-Freund erstattet. Zwei Tage später habe der Vater ebenfalls Anzeige erstattet, teilte die Polizei Ludwigshafen mit. Zuvor hatte die „Rheinpfalz“ darüber berichtet.
Auch im Freiburger Mordprozess nach dem Tod einer 19 Jahre alten Studentin im Herbst 2016 steht die Altersfrage im Zentrum: Angeklagt ist der Flüchtling Hussein K., der bei seiner Einreise ohne Papiere im November 2015 angab, aus Afghanistan zu kommen und 16 oder 17 Jahre alt zu sein. Zum Prozessauftakt gab er zu, beim Alter gelogen zu haben und älter zu sein. Die Staatsanwaltschaft hält Hussein K. heute für mindestens 22 Jahre alt. Entsprechende Gutachten sowie Zeugenaussagen im Prozess untermauern das. Von der Frage hängt ab, ob für den Mann das Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht gilt.