New Yorks Lieblings-Fotograf Bill Cunningham gestorben

New York (dpa) - Widrige Umstände waren Bill Cunningham die liebsten. In strömendem Regen oder sich auftürmendem Schnee knipste der Fotograf Menschen, die - trotz allem außergewöhnlich gekleidet - in New York durch Pfützen wateten oder über Eisberge kletterten.

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So entstanden spektakuläre Modefotos voller Gegensätze und Bewegung, die Highlights seiner von vielen Design-Experten und Fans jede Woche aufs Neue mit Spannung erwarteten wöchentlichen Streetstyle-Fotokolumne in der Sonntagsausgabe der „New York Times“. Am Samstag ist Bill Cunningham im Alter von 87 Jahren nach einem Schlaganfall gestorben.

Cunningham fotografierte natürlich bei jedem Wetter und überhaupt so gut wie immer. Der schmächtige Mann, der sich stets nur in derber blauer Jacke und beigen Khaki-Hosen sehen ließ, schwang sich bis ins hohe Alter so gut wie jeden Tag mit zwei Kameras um den Hals auf sein Fahrrad und fotografierte den Streetstyle der von ihm so sehr geliebten Millionenmetropole am Hudson.

Zum 85. Geburtstag vor zwei Jahren widmete die New York Historical Society dem wohl wichtigsten Mode-Fotografen der Stadt eine Ausstellung. Rund 80 Schwarz-Weiß-Fotos waren zu sehen. Acht Jahre lang hatte der Fotograf zuvor an dieser Serie gearbeitet, mit der er die Geschichte der Mode dokumentieren wollte. „Einfach nur so zum Spaß“, wie ihn das Museum zitierte.

Gemeinsam mit seiner Nachbarin Editta Sherman hatte er die Gebrauchtwarenläden der Stadt nach alten Kleidern durchsucht und ließ Sherman dann vor New Yorker Gebäuden aus derselben Epoche posieren. Das alles zu einer Zeit als die Millionenmetropole von Verfall, Bankrott, Grafitti und Müll geprägt war - aber Cunningham schuf inmitten alldem zeitlose Schönheit. So sitzt Model Sherman auf einem der Fotos in aufwendigem Kleid und mit großem Hut in einer über und über Grafitti-verschmierten U-Bahn.

Cunningham war selbst bei der Eröffnung der Ausstellung nirgends zu sehen. Der Fotograf galt als äußerst zurückhaltend, bescheiden und medienscheu. Nur einmal hat er einen Dokumentarfilmer für das preisgekrönte Porträt „Bill Cunningham's New York“ an sich herangelassen, ansonsten hielt er sich aus der Öffentlichkeit heraus.

Dutzende Superstars hatte er vor der Kamera und bei allen großen Modenschauen der Welt fotografiert, aber er selbst mied den Mittelpunkt. Seine Lieblingsbühnen waren die Straßenschluchten von Manhattan und seine Lieblingsmodels ganz normale Menschen im Alltag - nur die Kleidung musste besonders sein. „Die eigentliche Modenschau hat doch schon immer auf der Straße stattgefunden“, zitierte ihn die New York Historical Society.

Und so gilt der 1929 in der Ostküsten-Metropole Boston geborene Cunningham als Urvater aller Streetstyle-Blogs, allerdings fotografierte er selbst noch analog und mied das Internet. Seit er vor mehr als 60 Jahren nach einem kurzen Dienst bei der US-Armee im Zweiten Weltkrieg nach New York kam, zog Cunningham mit seinen Kameras durch die Straßen der Stadt und fotografierte die Mode und ihre Details: Schleifen, hohe Krägen, breite Mäntel, tief in den Knien hängende Hosen, lange Röcke - Cunningham sah die Trends meist schon auf den Straßen, bevor sie auf die Laufstege kamen.

In den frühen 70er Jahren soll er der Legende nach einen ganz besonderen Mantel fotografiert haben - und erst nach der Entwicklung der Bilder fiel ihm auf, dass darin Hollywood-Star Greta Garbo steckte. „Ich sehe eben nur die Kleider.“ Die gaben ihm so viel, dass er sonst denkbar wenig brauchte.

60 Jahre lang lebte er in einem kleinen Zimmer ohne Bad und Küche, aber voller Aktenschränke mit seinen Bildern darin. Auf Society-Partys, die Cunningham ebenfalls in einer Kolumne für die „New York Times“ dokumentierte, nahm er von den Veranstaltern noch nicht einmal ein Glas Wasser an. „Geld ist das billigste Gut und Freiheit das teuerste“, sagte er im Dokumentarfilm.

Die Kleider waren immer die Hauptsache für Cunningham. „Mode ist die Rüstung, um den Alltag des Lebens zu überstehen. Ich glaube nicht, dass man sie abschaffen könnte. Das wäre, wie als wenn man die Zivilisation abschaffen würde.“