Nicht von der Stange: Kunden wollen selbst gestalten
Hamburg (dpa) - Konsumenten entdecken den Spaß, Alltagsgegenstände selbst zu gestalten. Die Industrie unterstützt sie dabei: Deutsche Unternehmen setzten auf individualisierte Produkte. Massenware wird zum Auslaufmodell - sagen Trendforscher.
Ein Regal aus dem Möbelhaus, Sportschuhe vom Fachhändler, T-Shirts von der Stange? Um sich von Freunden und Kollegen abzusetzen, gestalten immer mehr Deutsche ihre einfachen Alltagsgegenstände nach persönlichen Vorstellungen. Sie kleben Folien auf Möbel, gestalten am Computer Schuhe in Lieblingsfarben und lassen das neue Shirt schnell noch mit einem Namen oder Bild bedrucken. Hauptsache anders. „Für die Konsumenten von morgen wird der Kauf von individualisierten Produkten so normal sein wie Online-Shopping generell“, meint Professor Dominik Walcher von der Fachhochschule Salzburg.
Gemeinsam mit BWL-Professor Frank Piller von der Technischen Hochschule Aachen hat er rund 500 Unternehmen untersucht, die individuelle Produkte für die Masse anbieten. Viele Innovationsimpulse bei der sogenannten Mass Customization kommen dabei von deutschen Start-Ups - haben sie in der bisher nicht veröffentlichten Studie festgestellt.
Klassiker und Vorreiter des individualisierten Kaufes ist der Autokauf: Wer ein neues Fahrzeug bestellt, kann aus einer detailreichen Palette an Sonderausstattungen wählen. Kein Wagen ist wie der andere. Aber Schuhe? Früher kamen sie aus dem Sport-Fachgeschäft. „Heute kann man auf den Sites der Sportartikelanbieter Sohle und Material wählen, grüne Schnürsenkel in Gelb-Orange Schuhe einziehen lassen, wie es einem gefällt“, sagt Trendscout Patrick Schenck vom Hamburger Trendbüro. Ein zweites Paar solcher Schuhe trifft man bei keinem Marathon.
Anzüge, Oberhemden, Dessous, Schuhe nach Maß: Das war immer einer gutverdienenden Elite vorbehalten. Jetzt beobachtet die Hamburger Handelskammer ein deutliches Wachstum bei der Zahl der Maßanfertiger. „Es gibt in Hamburg einen deutlichen Trend, sowohl zur stationären Anfertigung als auch zu Geschäften mit Onlinebestellung maßgefertigter Kleidung“, sagt Heiner Schote, Leiter der Abteilung Handel. Stoffe, Schnitte, Knöpfe - unzählige Details kann dabei jeder individuell bestimmen.
Für Möbel einer schwedischen Kette bieten Versender im Netz bereits vorgefertigte Folien: „Dann haben zwar auch einige Tausend andere Leute weltweit die gleichen Folien auf ihrem Billy-Regal. Aber meins sieht anderes aus, als das bei meinem Kollegen im Wohnzimmer“, beschreibt Schenck die Motivation. „Und noch wichtiger: Ich kann meinen eigenen Geschmack zum Ausdruck bringen, mein ganz persönliches Stilempfinden zeigen“, sagt Schenck. Für immer mehr - nicht nur junge - Käufer wird nach seiner Beobachtung ein Gebrauchsgegenstand auch Mittel, um Persönlichkeit zu zeigen und sich abzusetzen. Der Trendconsultant stützt seine Analysen auf Marktbeobachtungen, wie die steigende Zahl der Angebote und veränderte Kaufgewohnheiten.
„Der Massenmarkt hat zu einem Einheitsbrei geführt, zu einer Homogenität, die lange als normal galt“, blickt Schenck zurück. „Die Einkaufsstraße in Freiburg sieht aus wie in Malmö - überall die gleichen Läden, die gleichen Dinge in den Einkaufstaschen.“ Für die Unternehmen brachte das Vorteile in der Lieferkette und Vorratshaltung. „Durch Mass Customization haben Firmen dagegen größere Differenzierungsmöglichkeit. Sie können einen positiven Imagegewinn, loyalere Kunden und direkte Rückmeldungen für Innovationen erreichen, “, meint Walcher.
Mitunter sind die Konsumenten auch bereit für Dinge, die ihnen richtig gut gefallen, mehr Geld auf den Tisch zu legen. „Der Kunde will im Grunde keine individualisierten Produkte - er will, was er will“, beschreibt Marketingfachmann Walcher. Renner sind nach der deutsch-österreichischen Studie Kleidungsstücke wie T-Shirts oder Maßhemden, Fotoprodukte und Lebensmittel.
Dank Internet und der guten technischen Ausstattung der deutschen Haushalte kann jeder mitmachen. „Die Technik macht es möglich, hochwertige Produkte am Computer selbst zu gestalten. Das ist genial, denn die Programme sind so einfach, dass sie nicht nur für technik-affine Menschen zu bedienen sind“, sagt Schenck. Seiner Beobachtung nach zieht der Wunsch, anders zu sein, immer weitere Kreise: In Restaurants seien zunehmend regionale Spezialitäten oder fast vergessene Klassiker statt überall erhältlicher Massenware beliebt. Schenck: „Plötzlich ist wieder Pfälzer Kartoffelsalat statt Sushi gefragt. Und Filterkaffee statt Latte Macciato.“