Niedriger Pegel: Der Rhein lüftet seine Geheimnisse

Der niedrige Pegel des Rheins bringt spannende Relikte ans Tageslicht. Ein über 100 Jahre altes Schiffswrack bei Kleve ist eine Attraktion - eine Beobachtung macht einem Anwohner aber Sorgen.

Kleve. „Sie wollen wissen, wo das Schiffswrack liegt, oder?“ Die Mitarbeiter des Umweltbetriebes haben an diesem Vormittag kaum Zeit, sich ihrer Arbeit zu widmen. Eigentlich sind sie im beschaulichen Klever Ortsteil Schenkenschanz nahe der niederländischen Grenze ja gerade mit der Grünpflege beschäftigt. Geduldig aber legen die Männer in Orange immer wieder ihre Gartenwerkzeuge zur Seite und erklären hilflos suchenden Menschen, die aus ihren Autos gestiegen sind oder mit dem Fahrrad umherirren, wie sie am besten zum Rhein kommen. Dorthin, wo der Strom in diesen Tagen eines seiner sicher zahlreichen Geheimnisse preisgibt — das Wrack eines alten Frachtschiffes.

Foto: Arnulf Stoffel/dpa

„De Hoop“ hieß das Schiff, das im Winter 1895 nach einer Explosion sank und seither auf der linken Rheinseite in Höhe Schenkenschanz liegt. Eigentlich nicht sichtbar unter Wasser. Nur manchmal im Sommer, wenn die Niedrigpegelphase kommt, dann zeigt sich das Wrack und lockt zahlreiche Neugierige in den kleinen Ortsteil, so wie auch in diesen Tagen. „Durch den heißen und trockenen Sommer hat die Niedrigpegelphase in diesem Jahr besonders früh begonnen“, sagt Jan Böhme vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Duisburg-Rhein. Rund 45 Zentimeter tief ist der Rhein bei Emmerich derzeit. Der durchschnittliche Wasserstand liegt dort bei 2,77 Meter.

Foto: Gabi Kowalczik

Wie die „De Hoop“ dorthin gekommen ist, wo ihre Reste heute liegen, das wissen die Mitarbeiter des Stadtarchivs in Kleve. „Anfang 1895 sollten 200 000 Kilo Dynamit mit mehreren Schiffen von Köln über die Niederlande bis nach Port Elizabeth in Südafrika gebracht werden“, hat Susanne Huschka in einem Buch und in alten Zeitungsartikeln nachgelesen. Und der Winter war sehr hart. Aufgrund der Wetterlage und Eis auf dem Rhein musste der Transport unterbrochen, der Sprengstoff in einer Halle zwischengelagert werden. Beim Neubeladen der Schiffe passierte dann das Unglück.

Am Nachmittag des 19. März 1895 gab es eine enorme Explosion. Eines der Schiffe, die „De Elisabeth“, wurde laut Stadtarchiv förmlich hinweggefegt. Die daneben liegende „De Hoop“ brannte völlig aus und sank. 16 Menschen kamen dabei ums Leben, vermuten die Historiker. „Meist Arbeiter und Schiffer mit ihren Familien“, erklärt Susanne Huschka. Wieso es zur Explosion kam, konnte übrigens nie ganz geklärt werden, da die meisten direkt Betroffenen starben.

Von der tragischen Geschichte des gut 30 Meter langen und fünf Meter breiten Einmasters und seiner Besatzung ist heute nichts mehr zu sehen, die erhaltenen Überreste der „De Hoop“ faszinieren dennoch. „Es ist Wahnsinn, ein so altes Wrack zu sehen“, findet etwa Ingo van der Kamp, der sich an diesem Vormittag wie einige andere Neugierige auch auf den halbstündigen Fußmarsch von Schenkenschanz aus zum Rhein gemacht hat. „Das Holz ist trotz Feuer und dem langen Liegen im Wasser so gut erhalten“, schwärmt van der Kamp. „Man kann die Form des Schiffes noch genau nachvollziehen. Und das alles nicht in einem Museum, sondern einfach so in der Natur.“ Und noch etwas findet der Mann aus Emmerich-Elten toll: „Anscheinend klaut hier niemand die Überreste oder beschmiert sie.“

Früher sei dennoch viel mehr vom Schiff zu sehen gewesen, sagt ein Anwohner aus Schenkenschanz. „Das Wrack wird mit den Jahren immer weniger.“ Ob nun aufgrund von Verrottung oder der Strömung des Rheins oder ob vielleicht doch jemand ein „Souvenir“ mitnimmt, das sei dahingestellt. „Keine Ahnung“, sagt der Mann. „Aber es wird weniger.“ Irgendwann ist es vielleicht gar nicht mehr da, meint er.

Zumindest für die kommenden Tage aber kann Jan Böhme auch weiterhin volle Sicht auf das Wrack versprechen. „Die Pegelstände werden voraussichtlich im Lauf der Woche so bleiben“, sagt der Experte. „Bei nachlassendem Regen wird der Wasserstand eventuell zum Ende der Woche hin noch sinken.“ Wer weiß, was der Rhein dann noch von seinen Geheimnissen verrät.