Senator lehnt Rücktritt ab Noch drei Gefangene auf der Flucht

Berlin (dpa/bb) - Nach der Flucht von neun Berliner Strafgefangenen bleiben nur noch drei von ihnen einstweilen verschwunden. In der Berliner Strafanstalt Plötzensee meldeten sich am Mittwochabend zwei Häftlinge zurück, die am 28. Dezember dort ausgebrochen waren.

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Das teilte die Senatsverwaltung für Justiz mit. Damit sind drei der vier damaligen Ausbrecher wieder hinter Schloss und Riegel. Der Dritte hatte sich am Vortag in Begleitung seines Anwalts gestellt.

Außer nach dem Vierten aus dem Ausbrecherquartett fahnden die Behörden jetzt noch nach zwei Häftlingen, die aus dem offenen Bereich des Gefängnisses Plötzensee entwichen waren. In diesem sitzen Männer ein, die eine Geldstrafe nicht zahlen können und deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte vormittags bei einem Ortstermin in Plötzensee Rücktrittsforderungen der Opposition zurückgewiesen. Er sprach mit Blick auf den geschlossenen Teil der Strafanstalt von „Schwachstellen in der Alarmzentrale“. Demnach wurde dort kein Alarm ausgelöst.

Im besten Politiker-Sprech umschrieb der Senator das Problem so: „Die Frage ist, ob die Sicherheitstechnik optimal programmiert war.“ Es gebe zwar viele Kameras. „Die Herausforderung ist, dass die Bilder auf der Monitorleinwand zu sehen sind.“

Am vergangenen Donnerstag waren vier Männer aus einem Nebenraum der Kfz-Werkstatt des Gefängnisses ausgebrochen, indem sie mit einem Hammer und einer Flex eine Lüftungsklappe öffneten. Den Alarm habe die Werkstatt ausgelöst, hieß es. Warum der Raum nicht wie vorgeschrieben abgeschlossen war, werde noch untersucht. Ein Täter, der wegen Erpressung verurteilt ist, hat sich inzwischen gestellt. Er soll in eine andere Anstalt verlegt werden.

Fünf Männer waren aus dem offenen Vollzug „entwichen“, am Mittwoch wurde der dritte gefasst. Es wurde darauf verwiesen, dass „Ersatzfreiheitsstrafer“ nur in Haft seien, weil sie etwa Geldstrafen wegen Schwarzfahrens nicht zahlen konnten. Es gebe geringere Sicherheitsstandards, weil sie keine gefährlichen Kriminellen seien.

Bei einem Rundgang durch Haus G des Gefängnisses Plötzensee wiesen Anstaltsleiter Uwe Meyer-Odenwald und Vollzugsdienstleiter Michael Augustin am Mittwoch auf Fenster ohne Gitter und die Möglichkeit hin, die Geldstrafe abzuarbeiten. Es gibt hier auch keine Mauern. Ob die fünf Entwichenen Arbeit hatten, war nicht bekannt.

Laut Senator sind die Unterschiede zwischen offenem und geschlossenem Vollzug gesetzlich vorgeschrieben. Die knappen Finanzen würden vorrangig für die Sicherheit im geschlossenen Strafvollzug eingesetzt. Jetzt gebe es aber auch im offenen Vollzug mehr Personal für die Sicherung - auch nachts.

Die CDU-Opposition hatte die neun Fluchten in fünf Tagen als „einmaligen Skandal in der Rechtsgeschichte“ gewertet. Behrendt lehnte bei dem Termin die Rücktrittsforderungen der Opposition ab. In der kommenden Woche werde er im Parlament Rede und Antwort stehen. Jetzt stehe Aufklärung im Vordergrund. Noch in dieser Woche beginne eine externe Kommission mit der Arbeit. Sie soll die Ursachen besonders der vier aus dem geschlossenen Strafvollzug Entkommenen aufklären. Zudem beginne noch im Januar eine Schwachstellenanalyse durch ein Sicherheitsbüro.

Auch aus den Reihen des SPD-Koalitionspartners war nach den Fluchten Kritik an Behrendt laut geworden. Zudem ist zu hören, dass der Grünen-Politiker nicht besonders glücklich agiere.

Der Grünen-Politiker verwies indes auf das Sparprogramm der rot-schwarzen Vorgänger-Regierung. Es fehlten im Justizvollzug 200 Bedienstete. Jetzt werde wieder ausgebildet, doch erst Ende 2019 könnten die Lücken geschlossen werden. Behrendt bedauerte die entstandenen „Irritationen“ in der Bevölkerung. Der Eindruck, dass in Plötzensee jeder rein- und rausgehen könne, wie er lustig sei, sei falsch.

Gefängnisleiter Meyer-Odenwald verwies auf einen anderen Aspekt: „Berlin hat Besoldungsrückstände gegenüber anderen Bundesländern.“ Und: „Wir haben es schwer, geeignete Bedienstete zu finden. Wir sind kaum noch konkurrenzfähig.“ 16 Prozent des Personals seien derzeit krank.

Die Strafvollzugsgewerkschaft kritisierte, marode Bausubstanz, verwinkelte Anstalten, veraltete Sicherheitstechnik, jahrelanger Sanierungsstau und mangelnde Personalausstattung sorgten deutschlandweit für Sicherheitsdefizite im Strafvollzug. Die Justizministerien der Bundesländer müssten ihre zögerlichen Investitionen überdenken.

Unterdessen reagierten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit einem Augenzwinkern auf die Fluchten. Am Mittwoch twitterten sie: „Falls Sie (noch) im Gefängnis sitzen und gerade ihre Flucht durch Berlin planen: U6 und U8 fahren heute leicht unregelmäßig.“