Nscho-tschi: Deutschlands beliebteste Indianerin
Vor 50 Jahren bezauberte die junge Französin Marie Versini die Kinozuschauer als Winnetous Schwester Nscho-tschi.
Köln. Millionen können sich noch an diese Szene erinnern: Nscho-tschi haucht in den Armen Old Shatterhands den Atem aus — mit einem Lächeln und einem Liebesgeständnis. Kaum ein Filmtod hat bei den Deutschen einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen. „Winnetou 1. Teil“ hatte am 11. Dezember 1963 Premiere. Es war nach „Der Schatz im Silbersee“ der zweite Karl-May-Film und wie der erste ein Riesenerfolg. Die große Überraschung dabei: Eine erst 23 Jahre alte Französin stahl „Winnetou“ Pierre Brice die Schau — Marie Versini als Nscho-tschi.
„Mit dieser einen Rolle wurde sie zum absoluten Teenager-Liebling“, sagt Michael Petzel, Leiter des Karl-May-Archivs in Göttingen. „Über Jahre war sie der „Bravo“-Star Nummer eins. Es ist faszinierend, wie sie zur Identitätsfigur wurde, sogar noch in der Zeit der Studentenrevolte, als die Karl-May-Welle längst abgeebbt war.“
Mario Adorf, der in dem Film Nscho-tschis Mörder Santer spielt, erinnert sich: „Immer wieder treffe ich Leute, die sagen: ,Dass du die Nscho-tschi erschossen hast, das habe ich dir lange Jahre nicht verziehen. Ich habe dich dafür gehasst.’ Das ist ein Satz, den ich zigtausend Mal gehört habe.“ Dabei sind sich die beiden während der Dreharbeiten nie begegnet: Die Einstellung, in der Nscho-tschi stirbt, wurde an einem ganz anderen Tag ohne Adorf gedreht.
Michael Petzel sieht mehrere Gründe für den Erfolg: „Dieses Anrührende-Sensible, das macht sie auch als Privatperson aus. Das haben die Leute gespürt.“ Ganz wie Nscho-tschi verliebte sich Marie Versini während der Dreharbeiten in Lex Barker. Entscheidend dürfte auch gewesen sein, dass das von Versini verkörperte Frauenbild perfekt in die Zeit passte: eine Übergangszeit zwischen dem Ende der Adenauer-Ära und der 68er Bewegung samt sexueller Revolution.
Auch als Pubertätsfigur steht Nscho-tschi für den Übergang. Sie verliebt sich in den erfahrenen Old Shatterhand, aber noch bevor es ernst werden kann, wird sie erschossen. „Diese aufkeimende Liebe, bei der noch keine rohe Sexualität im Spiel ist, hat die Mädchen natürlich angerührt“, erklärt Petzel. „Die Jungs waren genauso verzaubert, ohne dass sie sich dabei bedroht fühlen mussten.“