Organskandal: Montgomery sieht Kliniken in der Pflicht

Göttingen/Passau (dpa) - Im Göttinger Transplantationsskandal sieht Ärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery die Kliniken in der Pflicht.

„Es muss geklärt werden, ob bei der Auswahl von Führungspersonal für die Transplantationsmedizin wirklich gewissenhaft gearbeitet wird. Da stehen die Klinikträger in besonderer Verantwortung“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag). Es müsse gefragt werden, ob die Selbstkontrolle in den Kliniken ausreichend funktioniere.

Gegen zwei Ärzte der Göttinger Uniklinik wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und wegen möglicher Bestechung ermittelt. Sie stehen unter Verdacht, Patientendaten manipuliert zu haben, um ihre Patienten unberechtigterweise auf der Warteliste für Spenderorgane nach oben zu schieben. Einer der Mediziner soll auch an seiner vorherigen Arbeitsstätte an der Uniklinik Regensburg schon 2005 für Missstände bei Transplantationen gesorgt haben. „Dass in Göttingen von den Regensburger Vorfällen überhaupt nichts bekanntgewesen sein soll, ist schon ein starkes Stück“, sagte Montgomery.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Braunschweig haben sich die Anwälte der beiden Mediziner zu den Vorwürfen bislang nicht bei den Ermittlungsbehörden geäußert. „Bislang hatten beide Verteidiger auch noch keine Akteneinsicht“, sagte Staatsanwältin Serena Stamer der Nachrichtenagentur dpa in Hannover. Dagegen hatte einer der Anwälte dem Nachrichtenmagazin „Focus“ gesagt: „Mein Mandant bestreitet, jemals von Patienten Geld genommen zu haben.“

Der Transplantationsskandal beschäftigt nach Informationen der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Samstag) auch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). An der Klinik seien inzwischen intern Akten überprüft worden, weil einer der beschuldigten Ärzte zwischen 1999 und 2001 dort als Assistenzarzt gearbeitet haben soll, zitiert die Zeitung den Vizepräsident der MHH, Andreas Tecklenburg. Da der Arzt keinerlei Entscheidungsbefugnisse gehabt habe, seien Manipulationen aber „extrem unwahrscheinlich“.

Die Göttinger Uniklinik teilte am Samstag zudem mit, dass sich infolge des Transplantationsskandals ein ehemaliger Mitarbeiter gemeldet und von „Auffälligkeiten in früheren Jahren“ berichtet habe. Der Hinweis werde ernst genommen und sei an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden.

Das „Göttinger Tageblatt“ hatte zuvor berichtet, dass mehrere Hinweise auf Ungereimtheiten bis in die 90er-Jahre zurück reichen. Schon 1995 hätten Kollegen des nunmehr Verdächtigten an der Rechtmäßigkeit der großen Anzahl von Organtransplantationen gezweifelt, schreibt die Zeitung. Die Klinik bestreitet dies.

Straftaten in der Transplantationsmedizin müssen nach Ansicht von Montgomery konsequent geahndet werden. „Das sind wirklich schwere Delikte“, erklärte er. „Die Überwachungs- und Kontrollgremien von Deutscher Stiftung Organtransplantation und Bundesärztekammer benötigen mehr Kompetenzen“, forderte er. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, appellierte im „Focus“ an alle potenziellen Organspender, „trotz aller Erschütterung über das betrügerische Handeln nicht zu zweifeln“.

Angesichts des Skandals forderte die Deutsche Hospiz Stiftung (DHS) eine Überprüfung aller Lebertransplantationen in Deutschland der vergangenen fünf Jahre. Darüber hinaus übt der Verband massive Kritik an der bisherigen Provisionsregelung für Ärzte und Kliniken. „Die Provisionszahlungen schaffen finanzielle Anreize, das System zu manipulieren“, heißt es in einem zweiseitigen Schreiben der Stiftung, welches der dpa vorliegt. Deshalb dürften Provisionszahlungen bei Organspenden keine Rolle spielen. Laut DHS kostet eine Lebertransplantation rund 150 000 Euro.