Gesicht der Pflegekrise Er stritt sich mit Merkel: Pflege-Azubi Jorde legt nach
Berlin · Vor zwei Jahren stritt Alexander Jorde mit der Kanzlerin - jetzt hat er ein Buch geschrieben.
Der 11. September 2017 hat das Leben von Alexander Jorde verändert. Damals wurde der Auszubildende innerhalb von zweieinhalb Minuten zum Gesicht der Pflegekrise in Deutschland und damit berühmt. Freilich unter besonderer Mithilfe von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Bis heute wirken die zweieinhalb Minuten nach.
„Sie sind zwölf Jahre an der Regierung und haben in meinen Augen nicht viel für die Pflege getan. Es gibt Schichten, da ist man mit 20 Patienten pro Pflegekraft und das kann nicht sein“, hielt Jorde seinerzeit der Kanzlerin in der Sendung „Wahlarena“ zur Bundestagswahl vor. Dann zeichnete er ein schlimmes Bild über die Zustände in Heimen und Krankenhäusern - und zwar aus Erfahrung. Merkel geriet ordentlich ins Schwitzen. Man habe mit Gesetzen reagiert, meinte sie. „Ich hoffe, wenn wir uns in zwei Jahren wiedersehen würden, dass es dann etwas besser ist.“
Die zwei Jahre sind fast um. Den Pflegenotstand gibt es immer noch, zu einer erneuten Begegnung mit Merkel ist es nicht gekommen. Er sei „gerne bereit“ für ein Treffen, so der Azubi am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung seines Buches „Kranke Pflege“. Jorde war in der Folge seines Disputs mit der Kanzlerin in zahlreichen Talkshows, sein Verdienst ist es gewesen, dass der Notstand plötzlich zu einem beherrschenden Thema im Wahlkampf wurde. Zwei Jahre später fällt das Fazit des heute 22-Jährigen allerdings immer noch ernüchternd aus: „Selbst in guten Zeiten schaffen wir es nicht, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln.“ Es komme ihm vor, so berichtet er, als versuche die Politik „mit einer Wasserpistole einen Waldbrand zu löschen“.
Jorde beschreibe eine „dramatische Lage, die in Wirklichkeit noch dramatischer ist“, befand SPD-Experte Karl Lauterbach, der das „flott und frisch“ geschriebene Buch präsentierte. Selbst die „bestehende Unterversorgung“ zu sichern, gestalte sich als schwierig. Denn in der Pflege seien in den vergangenen Jahren an die 60.000 Jobs abgebaut worden. Auch wenn die GroKo inzwischen gegengesteuert habe, was helfe sei: „Geld, Geld, Geld.“
Doch neues Personal fällt nicht einfach vom Himmel, wie Jorde der Kanzlerin schon in der Wahlarena mit auf den Weg gab. Sonderlich beliebt ist der Job nämlich nicht. In Deutschland müsse man daher weg davon, Pflegekräfte zu bemitleiden. Die Tätigkeit sei komplex, anspruchsvoll und weit mehr als nur körperlich anstrengend. Mehr Menschen für den Beruf zu begeistern, Kräfte länger zu halten und zu motivieren, „sind also die ersten Schritte, um den Pflegenotstand anzugehen“, so der junge Hildesheimer. Dazu gehöre auch eine lukrativere Bezahlung. In seinem Buch nennt er das Beispiel Norwegen. Dort hätten ihm Kräfte erzählt, „dass der Beruf gesellschaftlich hoch angesehen sei“. Die Digitalisierung werde in dem skandinavischen Land besser genutzt, es gebe andere Konzeptionen der Ausbildung und ein Studium, das zum Beruf führe.
Im Sommer wird Jorde seine dreijährige Ausbildung beendet haben. Ob er dann auch Pflegekraft bleiben wird? „Wenn es so wie in Norwegen wäre, könnte ich mir 40 Jahre vorstellen…“
Alexander Jorde: Kranke Pflege. Verlag: Tropen. 17 Euro.