PIlsen: Von der Bier- zur Kulturhauptstadt
Pilsen (dpa) - Scheinwerfer strahlen ihn an, als sich David Dimitri auf den Weg macht. Vor ihm liegen 240 Meter Seil, gespannt zwischen zwei Kirchtürmen.
Unter ihm stehen 15 000 Zuschauer. Die Herausforderung: Es geht zugleich 40 Meter aufwärts. Rund 20 Minuten dauert die Zitterpartie, bevor der Schweizer Artist unter Jubel und mit einem erleichterten Lächeln sein Ziel erreicht. Im Turm der Kathedrale von Pilsen läutet er die Glocken. Das Jahr als Kulturhauptstadt kann für die westböhmische Bierhochburg beginnen.
„So etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen“, sagt Frantisek Jilek, der am großen Platz der Republik eine esoterische Buchhandlung betreibt. Er spricht von einer Show „voller Adrenalin“. In den nächsten zwölf Monaten muss die Industrie- und Brauereimetropole Pilsen (Plzen) noch eine andere Art von Balanceakt schaffen: sich einerseits treu zu bleiben und andererseits den Ansprüchen Kunstinteressierter aus aller Welt gerecht zu werden.
Buchhändler Jilek sieht es pragmatisch: „Endlich lernen auch diejenigen Pilsen kennen, die sich nicht für Bier interessieren“, meint er. Er ist in der Stadt aufgewachsen und weiß, welche Fortschritte sie gemacht hat. „Als ich klein war, war es eine hässliche, graue, zerfallene Stadt“, sagt er. Heute seien nicht nur die Häuser restauriert, es gebe auch ein lebendiges Zentrum. „Pilsen ist nicht wiederzuerkennen“, sagt der 43-Jährige.
Doch zum Ärger der Stadtväter machen Touristen oft noch einen Bogen um die Innenstadt. Sie fahren direkt zur Hauptattraktion, der Großbrauerei Pilsner Urquell, heute Teil eines globalen Konzerns. Mehr als eine Viertelmillion Touristen kommen jedes Jahr hierher, mit Abstand die meisten davon aus dem benachbarten Deutschland.
Mit einem bunten Programm will der künstlerische Leiter von „Pilsen 2015“, Petr Forman, die Besucher zum Verweilen bewegen. Alle zwei Monate wird eine neue Zirkuskompanie in der Kulturhauptstadt Station machen. Und als absolutes Kunst-Highlight öffnet im Mai die Ausstellung von Maori-Porträts des gebürtigen Pilseners Gottfried Lindauer (1839-1926). Es gibt 600 weitere Programmpunkte.
Bereits jetzt bekommen Besucher in der interaktiven Ausstellung „Das Atelier von Jiri Trnka“ einen kleinen Einblick in die Arbeit eines Puppenfilmers. Im Ausland erst spät beachtet, gilt der in Pilsen geborene Trickfilmer Trnka (1912-1969) heute als „Walt Disney Tschechiens“. 1954 verfilmte er den großen Weltkriegsroman „Der brave Soldat Schwejk“ - ganz mit Handpuppen. Viele Originale sind zu sehen - und man kann auch selbst Hand anlegen.
„Das Puppenspiel hat in Pilsen starke Wurzeln“, meint Forman, selbst Marionetten-Schauspieler und Sohn von Oscar-Regisseur Milos Forman. „Man kann darin neue Welten und neue Horizonte der Fantasie entdecken“, sagt der 50-Jährige. Er sieht im Puppenspiel sogar einen „Urvater“ moderner Computerspiele. „Auch da zieht man quasi an einer Schnur und die Figur bewegt sich.“