Poesiealben: Wünsche fürs Leben

Große Worte, Glanzbilder und Gemaltes: Das gute alte Posiealbum behauptet sich auch im Internet-Zeitalter.

Düsseldorf. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, steht fein säuberlich mit Füller und Tinte auf einer strahlend weißen Seite geschrieben, umrahmt von Glanzbildern. Goethes Vers ist ein Klassiker und wohl in jedem Poesiealbum zu finden.

Ähnlich wie Saint-Exupérys „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Auch der lapidare Spruch „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken“ überdauert die Generationen. Der Clou: Die Worte werden über die Winkel einer Albumseite verteilt.

Das Poesiealbum behauptet sich auch im Internet-Zeitalter. Goldbuch — ein Verlag, der die fein gebundenen und häufig stoffbezogenen Alben mit den Blanko-Seiten vertreibt — informiert, dass die Verkaufszahlen seit Jahren konstant bleiben. Und aus Buchhandlungen sind die dazugehörigen Werke mit Spruch-Sammlungen nicht wegzudenken.

Eine SMS oder ein Eintrag auf der Facebook-Seite haben das literarische Bekenntnis zur Freundschaft bislang nicht ablösen können. Trotzdem ist das Büchlein mit den leeren Seiten heute nicht mehr die Nummer eins in den Klassenzimmern. Denn in den 1990er Jahren hat es starke Konkurrenz bekommen — vom Freundschaftsalbum, auch Freundebuch genannt. Das besteht aus vorgedruckten, standardisierten Fragebögen, in die Klassenkameraden und Familienmitglieder ihre Lieblingssänger, Lieblingsbücher, Lieblingsspeisen und Ähnliches eintragen.

Als Vorläufer des Poesiealbums gilt das Stammbuch, erklärt Professor Werner Schnabel, Germanist an der Universität Erlangen. Dieses gab es, insbesondere in gehobenen Kreisen, bereits im 16. Jahrhundert. Man nannte es auch „album amicorum“ (Album der Freunde).

Ins Stammbuch schrieb man einer anderen Person eine Widmung mit seinem Namen, Wappen — und Sprüchen. Studenten aus gutem Hause besaßen ein solches Album, in das Professoren und Studienkollegen Wünsche und Zitate hineinschrieben. Je mehr Einträge ein Student in seinem Stammbuch hatte, desto größer war sein Ansehen.

Diese Tradition habe im Laufe der Zeit dann weite Teile der Bevölkerung erfasst. „Besonders in den 1920er bis 1960er Jahren waren Poesie-Alben sehr verbreitet, speziell unter Schülerinnen“, datiert der Wissenschaftler die Blütezeit des modernen Poesiealbums.

Während die Bücher heute kunterbunt gestaltet sind, handelte es sich noch im 17. Jahrhundert um ein unifarbenes Lederbuch mit bis zu 300 Seiten. „Und ebenso viele Einträge befanden sich auch darin“, sagt Schnabel. Der Wissenschaftler analysiert mit Hilfe der Einträge die Beziehungsnetze von Studenten in der frühen Neuzeit.

„Im 20. Jahrhundert kann man noch Wertvorstellungen der jeweiligen Zeit rekonstruieren“, so Schnabel: In einem Poesiealbum aus den 1930er Jahren stünden andere Texte als in einem aus den 1960ern. In der Nazi-Zeit waren Sprüche wie „In Treue fest, in Treue stark, in Treue deutsch, deutsch bis ins Mark“ üblich. Später fand man auch gerne mal Zitate wie „Man sollte die Welt so nehmen, wie sie ist, aber nicht so lassen“. Die politischen Geschehnisse oder auch schlicht der Zeitgeist der jeweiligen Epochen spiegelten sich darin wider.

„Früher wurden Sentenzen und Sprüche überwiegend in Latein in die Bücher geschrieben“, sagt Werner Schnabel. Erst im 18. Jahrhundert hielten deutsche Texte Einzug.

Heutzutage gibt es auch reichlich banale Einträge wie „Ich habe mich hier hinten eingewurzelt, damit niemand aus dem Album purzelt“ — Zeilen für die letzte Seite im Poesiealbum.

Werner Schnabel findet die Bücher nicht nur aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel heraus interessant. Vielmehr hält er die Tradition für ein didaktisch wichtiges Kulturphänomen. „Die Verse und Sprüche werden zielstrebig ausgewählt. Sie sollen zu der Person, der das Album gehört, passen und gleichzeitig etwas über den Schreiber aussagen.“