Projekt Familienklassen: Mit Mama und Papa in die Schule

In Essener Schulen werden Eltern verhaltensauffälliger Kinder in den Unterricht gebeten. Da wird nicht nur gemeinsam gelernt, sondern auch an Problemen gearbeitet.

Essen. Der achtjährige Hendrik geht nicht alleine zur Schule. Er hat es nicht so einfach, er trägt den Stempel „verhaltensauffällig“. Seine Mutter muss heute noch einmal mit ihm zusammen die Unterrichtsbank drücken.

Dahinter steckt ein neues Projekt in Nordrhein-Westfalen: Bei den „Familienklassen“ werden an sechs Schulen in Essen die Eltern verhaltensauffälliger Schüler gebeten, am Unterricht teilzunehmen.

„Ziel ist es, den verhaltensauffälligen Schülern einen drohenden Gang zur Förderschule zu ersparen“, sagt Björn Enno Hermans, Geschäftsführer des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Essen. Durch das Projekt sollen die Eltern dazu ermuntert werden, sich selbst zu helfen und sich untereinander zu vernetzen. „So sehen die Eltern: Auch andere Familien haben Probleme“, sagt Hermans.

Kandidaten für das Projekt sind Schüler, die Verhaltensauffälligkeiten an den Tag legen. Diese äußern sich in verschiedenen Formen, erklärt Karin Führmann, Grundschulleiterin der Astrid-Lindgren-Schule im Essener Stadtteil Steele.

Darunter fallen Kinder, die in die Klasse rufen — ohne aufzuzeigen. Oder Kinder mit hohem Bewegungsdrang, die aber gleichzeitig schnell frustriert sind, weil sie nicht wissen, wo sie beim Lernen anfangen sollen.

Bei einer „Familienklassen“-Stunde werden Eltern und Schüler von einem Lehrer und einem Schulsozialarbeiter begleitet. Die Lehrerin verteilt Aufgaben und die Eltern müssen dann ebenso Aufgaben lösen wie die Schüler. „Die Kinder genießen das, weil sie das als eine große Wertschätzung erleben. So viel Aufmerksamkeit wird ihnen nur ganz selten geschenkt“, sagt Führmann.

Es gehe darum, dass Eltern und Schüler im Tandem Probleme und Fallgruben erkennen. Die Schüler bekommen Schilder aus Holz, auf denen „Mama“ oder „Papa“ steht. Immer dann, wenn das Kind Hilfe benötigt, zückt es das Schild.

Ein Kind ist — statt mit seinen Eltern — mit seiner Großmutter in die „Familienklassen“ gekommen. Auch für solche Fälle ist man gerüstet. Für das Kind wird eine „Oma“-Kelle gebastelt.

Während eines Familienklassen-Tages wechseln Unterrichtsphasen mit Gesprächsrunden ab, mal alle zusammen, mal nur Kinder oder nur Eltern. Wichtig dabei: „Die Schüler definieren Lern- oder Verhaltensziele, und jede Woche wird geschaut, ob sie ihre Ziele umsetzen konnten“, sagt Führmann.

„Mir ist schon klar, dass unser Modell kein Allheilmittel ist“, meint Hermans vom SkF. Zumal die Eltern schon eine gewisse Bereitschaft mitbringen sollten, sagt er. In Dänemark und anderen Ländern Nordeuropas gebe es dieses Projekt schon flächendenkend. „Und zwar mit einem großen Erfolg“, betont Hermans.

Sowohl Hermans als auch Führmann stellen klar, dass die verhaltensauffälligen Schüler nicht durch die Anwesenheit ihrer Eltern bloßgestellt würden. „Es ist das Gegenteil eingetreten. Die anderen Schüler schauen eher neidisch auf die Kinder, deren Eltern mit in die Schule kommen“, sagt Hermans.

Für das Essener „Familie Aktiv in Schule“-Projekt sind die ohnehin an den Schulen eingestellten Sozialarbeiter im Einsatz. Es wurden keine neuen Stellen geschaffen. Mit weiteren Schulen stehe der SkF im Gespräch.