Radlerprotest: Die Straße gehört nicht den Autos allein

Heute wird in Köln wieder auf zwei Rädern demonstriert. Das kommt allerdings nicht bei allen Bürgern gut an.

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Köln. „Eine Unverschämtheit, das ist Freiheitsberaubung!“ Ein älterer Herr starrt mit weit aufgerissenen Augen durch die Fenster seines Autos. Seine Ampel zeigt Grün, doch er kann nicht fahren. Zwei Fahrradfahrer versperren ihm die Durchfahrt an der Kreuzung, während 250 andere Räder passieren. Mehrere Minuten dauert es, bis sie alle vorbei sind. Fröhlich winken viele den blockierten Autofahrern und verdutzten Passanten zu.

Es ist ein Freitag um 18 Uhr in der Kölner City — und die monatliche „Critical Mass“ schiebt sich durch den Feierabendverkehr. Die Fahrradfahrer wollen sich ein Stück Stadt zurückholen, sagen sie. Dafür nutzen sie einen Passus der Straßenverkehrsordnung. Der besagt, dass mindestens 16 Radfahrer einen geschlossenen Verband bilden können, der zusammenhängend fahren darf. Das bedeutet: Eine rote Ampel kann ihn nicht zerteilen.

Marco Laufenberg ist in Köln immer dabei. „Wir wollen zeigen, dass auch Fahrradfahrer zum Verkehr gehören. Den Autos gehört die Straße nicht allein“, sagt er. Kaum ist der Tross losgefahren, beginnt das Hupkonzert. Manche Autofahrer gestikulieren wild, andere blicken resigniert. Oder tragen es mit Fassung. „Wir sind ja nicht auf der Flucht“, sagt ein Mann in einem Van. „Genervt bin ich schon“, gesteht ein anderer. „Aber ich kann es ja auch nicht ändern.“

Sobald die Spitze des Zuges an eine Kreuzung kommt, schwärmen einzelne aus, um sich den wartenden Autos in den Weg zu stellen. „Korken“ nennen sie das. Die Aggressionen der Autofahrer hätten deutlich abgenommen, seit die Teilnehmerzahlen dreistellig seien, berichtet Laufenberg. Der Rekord habe im Mai bei rund 620 Fahrradfahrern gelegen.

In Köln haben sich Familienväter mit Kinderanhänger, schicke Studentinnen, Umweltbewegte, Rentner und Büroangestellte zusammengefunden. „Alle verbindet das Radfahren“, sagt Laufenberg. Tatsächlich herrscht die Atmosphäre eines lockeren Ausflugs. In gemächlichem Tempo führt die Spitze den Zug an, immer willkürlich in die eine Richtung oder die andere. Passanten filmen die Kolonne.

Die Polizei folgt dem Zug, als Demonstration ist er nicht angemeldet. „Wir waren zufällig da, sonst hätte es aber auch ein Kollege gemacht“, sagt einer der beiden Beamten. Probleme oder Streit habe er noch nie erlebt. Auch die Stadt Köln habe noch keine Beschwerden erhalten, sagt eine Sprecherin.

Als Einzelner wolle er nicht provozieren, sagt Fabian Staben. Dass die Gruppe aufregt, müsse sie in Kauf nehmen — ohne Aufmerksamkeit keine Veränderung. Bei den Fußgängern kommt die Aktion auch deutlich besser an als auf der Straße. „Ich finde es großartig. Autofahrer müssen lernen, die Straße zu teilen“, sagt Kathleen Singleton mit Kind an der Hand.

Vor einer Kneipe springt ein Mann auf. „Rot ist rot, machen Sie doch was“, ruft er den Polizisten zu. Einige Meter weiter winkt eine Frau und wünscht viel Spaß. Auf den Rädern ist man sich einig: Besser muss es werden in Köln, mit breiten, sicheren Radwegen auf der Fahrbahn. Die Fahrt hat aber noch einen anderen Grund: Sie macht Spaß.