„Rettungsroutine“ ist Wort des Jahres
Wiesbaden (dpa) - Schulden, Euro, Griechenland - viele haben genug davon. Deshalb wählen Sprachforscher „Rettungsroutine“ zum Wort des Jahres. Als Alternativen boten sich „Schlecker-Frauen“ und „Gottesteilchen“ an.
Sprachforscher haben „Rettungsroutine“ zum Wort des Jahres 2012 gewählt - aus Überdruss an der fortdauernden Schuldenkrise. „Alle paar Wochen werden neue Pakete geschnürt“, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Prof. Armin Burkhardt, in Wiesbaden zur Begründung der Jury-Entscheidung. Europas instabile Wirtschaftslage beschäftige die Öffentlichkeit seit langem. Im März hatte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach „eine Art Rettungsroutine“ beklagt, die sich bei den Euro-Hilfen eingestellt habe.
2011 hatten die Forscher „Stresstest“ zum Spitzenreiter gekürt. Wie jeden Dezember wählte die Jury der GfdS zehn Ausdrücke, die ihrer Meinung nach eine sprachliche Chronik des Jahres ergeben. Die Vorgänge um Ex-Bundespräsident Christian Wulff schafften es mit dem neuen Verb „wulffen“ auf Platz fünf - ein Wort mit doppelter Bedeutung: Man wulfft, wenn man wütende Nachrichten auf Mailboxen hinterlässt; man wulfft auch, wenn man sich Vorteile auf Kosten anderer verschafft, also schnorrt.
Das Schicksal der „Schlecker-Frauen“ wollte die Jury zwar würdigen, setzte das an Trümmerfrauen angelehnte Wort aber nur auf Platz vier. Monatelang hatten die Beschäftigten der insolventen Drogeriekette um ihre Jobs gebangt. Die bahnbrechende physikalische Entdeckung des Higgs-Bosons-Teilchens machte die Welt 2012 auf das „Gottesteilchen“ aufmerksam. Er hätte sich dieses Wort als Nummer eins vorstellen können, sagte Burkhardt. Es landete auf Platz 7.
„Rettungsroutine“ wird viel seltener benutzt als frühere Spitzenreiter wie „Wutbürger“ (2010) oder „Abwrackprämie“ (2009). In den 470 000 Artikeln, die alle deutschsprachigen Dienste der Nachrichtenagentur dpa dieses Jahr bis zum Donnerstag verbreiteten, kam der Begriff „Rettungsroutine“ nur ein einziges Mal vor.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der das Wort im März benutzt hatte, fühlte sich nun von der Wahl des Ausdrucks in seiner Kritik an den fortgesetzten Hilfen für arme Euro-Länder bestärkt. Im Bundestag sei eine „Rettungsroutine“ normal geworden: „Von da an hatte man es schwer, mit einer nüchternen, ökonomischen Argumentation durchzudringen“, bekräftigte Bosbach seine Beschwer.
Sprachforscher Burkhardt konnte dem Wort des Jahres 2012 trotz seiner Seltenheit etwas abgewinnen. Es sei paradox komponiert: Eine Rettung sei eigentlich einmalig und abgeschlossen, dagegen stehe Routine für einen wiederkehrenden Vorgang. Zusammengesetzt sei das Wort „Ausdruck dieses Überdrusses an der Retterei“, sagte Burkhardt.
Ungewohnt offen berichteten die Mitglieder der von Professoren und Sprachforschern dominierten GfdS-Jury diesmal von den Schwierigkeiten ihrer Abstimmung. Ähnlich sperrig wie der Spitzenreiter lesen sich auch die nächsten Platzierungen. „Kanzlerpräsidentin“ kritisiere den Regierungsstil von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die oft scheinbar überparteilich agiere, obwohl sie auch CDU-Vorsitzende sei. Die „Bildungsabwendungsprämie“ nannte Burkhardt ein gelungenes „politisches Gegenschlagwort“ gegen das umstrittene Betreuungsgeld.
Auf den Plätzen landeten auch die giftig klingende „Netzhetze“ als deutsches Gegenstück zum Shitstorm und das „Punk-Gebet“, das an den Protest der russischen Band „Pussy Riot“ gegen Präsident Wladimir Putin erinnert. Die endlosen Bauverzögerungen am neuen Berliner Airport trugen ihm den Spitznamen „Fluch-Hafen“ ein. Der Ausdruck „ziemlich beste“, Zitat aus dem Filmtitel „Ziemlich beste Freunde“, werde mittlerweile umfassend genutzt, um Superlative infrage zu stellen, erklärte die Jury.