Revolution in blau - Der Füller hat 130. Geburtstag
New York (dpa) - Geschrieben hat man schon vorher, aber es war mühselig und kratzig. Der Füller war so etwas wie eine Demokratisierung der Schrift. Angefangen hat alles mit einem großen Klecks und ebenso viel Wut.
Jahrelang hatte Lewis Edson Waterman auf den Vertrag hingearbeitet, es musste nur noch die Unterschrift her. Der Versicherungsmakler setzte seinen Füller auf - und ein Schwall Tinte ergoss sich auf die Urkunde. Damit platzte Waterman erst das Geschäft seines Lebens und dann der Kragen. Seine Wut leitete der Amerikaner in kreative Bahnen und revolutionierte so den Alltag: Vor 130 Jahren (Patent 12. Februar 1884) wurde der Füllfederhalter erfunden.
Mit Tinte wurde auch vorher schon geschrieben und die Gänsefeder hatte längst Konkurrenz aus Metall bekommen. Doch die Schreibgeräte kratzten über das Papier und gaben die Tinte so ab, wie sie wollten - mal mehr, mal weniger. „Die Tinte macht uns wohl gelehrt, doch ärgert sie, wo sie nicht hingehört“, seufzte schon Goethe.
Waterman tüftelte und fand eine schon fast langweilig einfache Lösung: Ein Loch in der Feder sorgte dank des Kapillarprinzips - Flüssigkeiten steigen in engen Röhren - für einen gleichmäßigen Tintenfluss. Vergessen das Versicherungsgeschäft, Waterman machte künftig in Füllern. Am Küchentisch schraubte er die Schreibgeräte zusammen. Nicht einmal 200 waren es im ersten Jahr.
Er bekam bald Konkurrenz von einem jungen Landsmann namens George Parker. In Deutschland produzierte ein gewisser Friedrich Soennecken Füllfederhalter. Alle drei Namen finden sich noch heute in jedem Schreibwarengeschäft.
Von wem die Schreibgeräte auch immer kamen, sie revolutionierten die Haushalte und auch die Geschäftswelt. Plötzlich war flüssiges Schreiben kein Problem mehr. Zudem konnte sich die Füller fast jeder leisten, dank Massenproduktion und neuer Materialien. Kugelschreiber waren schließlich viel zu unzuverlässig und viel zu teuer.
Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. „Kulis“ wurden so sehr ein Massenprodukt, dass sie zum Werbegeschenk schlechthin wurden. Und der Füller? Der war zu empfindlich und zu unhandlich geworden. Denn all die Neuerungen hin oder her: Blaue Hemdtaschen gehören auch beim besten Modell, gelegentlich, einfach dazu.
Konkurrent Parker übernahm schließlich den Pionier Waterman, wurde aber bald selbst übernommen. Andere Firmen folgten und 100 Jahre nach Watermans Patent war die Füllfederhalterkultur nur noch ein Schatten ihrer selbst. Gegen die mächtige Kugelschreiberkonkurrenz kämpfte der Füller bis zur letzten Tintenpatrone, doch vergebens.
Kein Refugium mehr für den einstigen Kleckser? Doch, zwei gibt es noch: In den Schulen wird nach wie vor mit dem Füller geschrieben und blaue Finger beweisen, dass das gar nicht so einfach ist. Nicht umsonst kann man an vielen Schulen einen „Füllerführerschein“ machen.
Und vom Protokollwesen wird der edle Füller immer noch geschätzt, weil Freundschafts- oder Millionenverträge damit stilvoller sind. Vor allem US-Präsidenten haben noch eine besondere Eigenart: Sie nehmen bei der Unterschrift für jeden Buchstaben einen anderen Füller, so gibt es hernach für jeden Beteiligten ein geschmackvolles Souvenir. Als Obama die Gesundheitsreform unterschrieb waren es 22 Füller, die anschließend verteilt wurden. Das stelle man sich mal mit Kugelschreibern vor.