Revolutionär mit Schere: Vidal Sassoon ist tot
New York/Los Angeles (dpa) - Heiße Trockenhauben, ziepende Toupierkämme, juckende Lockenwickler und zementierendes Haarspray: Der Gang zum Friseur kam für Millionen Frauen bis in die 1960er Jahre einem Spießrutenlauf gleich.
Dann tauchte Vidal Sassoon mit der Schere in der Hand in der Frisurenwelt auf und sorgte für die große Befreiung auf den Köpfen. Der gebürtige Brite revolutionierte die Haarmode. Am Mittwoch starb Sassoon im Alter von 84 Jahren in Los Angeles.
Endlossitzungen im Salon waren für Sassoon ein Unding. „Die Frauen gingen zurück zur Arbeit. Sie kämpften für ihre eigenen Rechte und hatten keine Zeit mehr, unter dem Trockner zu sitzen“, sagte er einmal in einem Interview. Ein Kurzhaarschnitt war einfacher, bequemer, natürlicher.
So bilderbuchhaft sich seine Karriere entwickelte, so unwillig wurde Sassoon anfangs ins Metier gestoßen. Geboren im Londoner East End pendelte er zwischen jüdischem Kinderheim und der mittellosen Familie hin und her. Mit 14 schickt ihn die Mutter zum Geldverdienen in den „Cohen's“-Salon. „Widerstand war zwecklos“, sagte Sassoon im Rückblick. Als „Shampoo-Boy“ musste er im Hinterzimmer Haarwaschmittel anrühren - und fand letztendlich doch Gefallen an der Friseur-Welt.
Nachdem er 1948 als freiwilliger Soldat im Israelischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, kehrte Sassoon nach England zurück und widmete sich ganz der Friseur-Karriere. Mitte der 50er Jahre eröffnete er den ersten Laden in der mondänen Bond-Street.
Lange experimentierte er mit neuen Schneidetechniken und geometrischen Schnitten. Sassoons Interesse galt nicht nur den Haaren, auch Kunst und Architektur - vor allem der Bauhaus-Stil - hatten es ihm angetan. „Mein Traum war das Haar im Reich der Geometrie: Quadrate, Dreiecke, Rechtecke und Rhomben.“ Die Umsetzung dieser Vision wurde zu seinem größten Erfolg: dem „Bob“.
Anfang der 60er Jahre schuf Sassoon den aufsehenerregenden Haarschnitt mit gerader, kinnlanger Konturlinie - flippig und einfach zugleich. Die „Schüttelfrisur“ wurde zum perfekten Accessoire der Swinging Sixties und ist bis heute eine der häufigsten Anfragen in den Salons der Welt.
Seine Schere machte aber nicht bei Kinn oder Ohren Halt: Für „Rosemary's Baby“ (1968) stutzt er Mia Farrows Mähne streichholzkurz und sorgte wieder für eine Sensation. Dabei ging Sassoon lediglich sehr praktisch ran: Haare waren für ihn wie Stoff, „alles Überflüssige“ musste weg.
Sassoon erwies sich nicht nur als Trend-Genie, sondern entwickelte sich auch zum cleveren Geschäftsmann. Er eröffnete erfolgreiche Geschäfte in den USA, gründete eine internationale Salonkette, mehrere Friseur-Akademien, kreierte 1974 eine Haarpflegeserie - und wurde selbst zum Multimillionär. Stars zahlten teuer für einen Schnitt beim Maestro. Sassoons wohlklingender Name wurde zur Marke und war bald hauptsächlich als Shampoo bekannt.
Mit seiner vierten Frau Rhonda, die er 1992 geheiratet hatte, lebte Sassoon in Los Angeles. In den vergangenen Jahren war es still geworden um den Herrn mit dem silbergrauen Haar. Medienberichten zufolge soll er an Leukämie gelitten haben.