Ronnie Biggs: Ganove, Lebemann, Kultfigur

Ronnie Biggs, der wohl berühmteste Posträuber der Welt, ist aus der Haft entlassen worden – damit er in Freiheit sterben kann.

London. Ronnie Biggs hat jahrzehntelang nach seinem legendären Überfall auf einen königlichen Postzug auf der Flucht gelebt, und das nicht schlecht. Doch jetzt revanchiert sich die britische Justiz bei dem frechen Ganoven auf ihre Art: Biggs ist zwar gestern aus der Haft entlassen worden, wird aber von seiner Freiheit nicht mehr viel haben. Er ist ein Pflegefall und hat wohl nicht mehr lange zu leben.

Sein letzter Wunsch war bescheiden: Noch einmal wollte er wie ein Durchschnittsbürger in den Badeort Margath fahren, auf der Strandpromenade sein Bier trinken. Doch Biggs, der seit zwei Wochen mit einer schweren Lungenentzündung im Gefängniskrankenhaus liegt, wird diesen Tag nicht mehr erleben.

Justizminister Jack Straw hat ihm vor zwei Monaten mit Verweis auf dessen fehlende Reue die Begnadigung verwehrt. Donnerstagmorgen hieß es dann aus dem Spital in Norfolk, dass Biggs sich wohl von seiner Erkrankung nicht mehr erholen werde. Abends verkündete Labour-Mann Straw schließlich die Kehrtwende. Aus "humanitären und medizinischen Gründen" werde Biggs doch entlassen.

Dennoch bleibt er ein Gefangener. Nach mehreren Schlaganfällen kann der Mann nicht mehr essen oder sprechen und ist ans Bett gefesselt. Dennoch, so berichtet Sohn Michael, habe Biggs die Nachricht der Gefängnisleitung mit einem Lächeln begrüßt.

Die Sache wäre für ihn wohl glimpflicher und seine Begnadigung zügiger verlaufen, hätte er der Krone nicht auf zig Arten gezeigt, was eine Harke ist. 1963, auf den Tag genau am Samstag vor 46 Jahren, kapert Biggs mit einem Dutzend anderer Männer den königlichen Postzug auf der Nachtfahrt von Glasgow nach London. Um 2,6 Millionen Pfund, nach heutigen Berechnungen etwa 47 Millionen Euro, erleichtern sie den Zug.

Zwar werden die meisten Räuber nach dem bis dato spektakulärsten Postraub der Welt gefasst und ins Gefängnis gesteckt. So auch Biggs: 1964 wird er zu 30Jahren Haft verurteilt. Doch im Gegensatz zu seinen Mittätern türmt der Londoner Handwerker nach 15 Monaten Haft auf spektakuläre Weise. Über Paris, wo er sich von Schönheitschirurgen sein Gesicht verändern lässt, flüchtet er nach Brasilien. Während der Rest der Bande nach zehn Jahren Haft wieder in Freiheit ist, führt Biggs die Justiz weiter an der Nase herum.

Wegen lückenhafter Abschieberegeln zwischen Brasilien und dem Königreich ist Scotland Yard machtlos und kann nur zuschauen, wie Biggs als Lebemann das Beste aus der Situation macht.

Viele Briten gönnen Biggs heute die Freiheit und amüsieren sich über dessen Frechheit. "Ich habe ein großartiges Leben, mir tut nichts leid", sagte Biggs. Sein Haus in den Hügeln von Rio wird als Attraktion von britischen Touristen besucht.

Die Sehnsucht nach seiner Heimat lässt den Dieb aber 2001, im Alter von 72 Jahren, freiwillig zurückkehren. Als verarmter und tatteriger Mann tritt er den Rest seiner 30-jährigen Haftstrafe an. Heute erlebt er seinen 80. Geburtstag in Freiheit.