Guide Michelin Rote Bete und Sellerie erobern die Sterne-Küche
Berlin (dpa) - Rote Bete als schlichten Wintersalat kennen viele. Der oft erdige Geschmack der purpurroten Rüben lässt manche allerdings zurückschrecken.
Doch wenn es um ein Rote-Bete-Carpaccio geht mit Pistazien und Birnenspalten oder etwas ähnlich Feines, komponiert von einem Sterne-Koch, wagen sich selbst Skeptiker an das Gemüse. Zumal viele Spitzenköche aktuell Freude daran haben, aus altbekannten Lebensmitteln Hinreißendes zu zaubern. „Ich liebe Rote Bete und Kohl“, schwärmte zum Beispiel Marco Müller vom Berliner Restaurant „Rutz“ bei der Verleihung der „Michelin“-Sterne 2017.
Der 46-Jährige konnte bei der Gala am Donnerstagabend in Berlin, bei der der Restaurantführer 2017 präsentiert wurde, den zweiten Stern mit in sein Team nehmen. Müller beobachtet einen Trend der „Klarheit auf dem Teller“. Er spricht von einer Hinwendung zum einzelnen Produkt.
Neben ihm freuten sich zwei andere Köche - aus München und Mannheim - über den Aufstieg in die zweithöchste Bewertungsklasse der Sterne-Gastronomie. Insgesamt zeichneten die Tester 292 Häuser in Deutschland mit einem, zwei oder drei Sternen aus - und damit mehr als jemals zuvor. 243 Restaurants können künftig mit einem Stern und dem neuen signalroten „Michelin“-Schild an der Tür für ihre Kochkünste werben - darunter 28 Neueinsteiger. Viel Bewegung gab es in Düsseldorf mit drei neuen Adressen („Bread & Roses“, „Le Flair“ und „Nenio“). Zwei Namen dort fielen weg. Bei den zehn Restaurants mit der höchsten Wertung änderte sich für 2017 nichts.
Deutschland habe eine attraktive, dynamische Gastronomie-Szene, lobte Michael Ellis, der internationale Direktor des „Guide Michelin“. Auffällig sei die Stärke der jungen Talente, die mit viel Energie ihr Können beweisen wollten. Angesichts der Kreativität der deutschen Köche werde man beim Spitzenreiter Frankreich „langsam nervös“, sagte Ellis. Außerdem verwies er auf den Trend zu lokal produzierten Zutaten in der Sterne-Küche, die manch einer immer noch mit Hummer, Kaviar und Wachteln verbindet.
Auch Jan Spielhagen, Chefredakteur der Zeitschriften „Essen & Trinken“ sowie „Beef“, stellt fest: „Es gibt bei den Köchen eine große Verliebtheit in die einzelnen Produkte, zum Beispiel Rote Bete.“ Er war bei der Verleihung selbst nicht dabei, beobachtet die Trends der Alltagsküche aber ebenso wie den Sterne-Bereich. „Sie wollen ihre Grundprodukte nicht verwandeln, sondern jedes Lebensmittel einzeln ausreizen.“ Top-Köche versuchten, „das Maximum aus einfachen Bestandteilen herauszuholen, etwa aus Sellerie“.
Alexander Hohlwein (30) bekam bei der Feier in einem mehrstöckigen Autohaus seinen ersten Stern verliehen. Er leitet die Küche des Restaurants „360°“ im hessischen Limburg an der Lahn. „Wir legen uns nicht auf einen Stil fest. Wir bieten eine weltoffene Aroma-Küche“, beschreibt er seine Kompositionen.
Der Trend, schlichte Produkte zu verfeinern, werde der Branche auch in gewisser Weise aufgezwungen, urteilt Hohlwein, der beim Drei-Sterne-Star Kevin Fehling („The Table“/Hamburg) gelernt hat. Denn viele Feinschmecker wollten nicht gleich 140 Euro pro Person für ein mehrgängiges Menü hinlegen, sondern eher um die 100 Euro zahlen. „Da kann es dann nicht immer Steinbutt sein, sondern eher mal auch eine simple Makrele.“
Küchenchef Felix Schneider (ein Stern) aus dem „Sosein.“ in Heroldsberg bei Nürnberg zieht sogar selbst los in die Natur, um einige seiner Zutaten zu finden. „Ich sammle Wildpilze, nicht nur Maronen und Steinpilze, sondern ganz viele andere Sorten“, erzählt der 31-Jährige. Die Idee hinter seiner Kochkunst sei, mit den verschiedenen Gängen die Kulturlandschaft der Region abzubilden.
Trotz vieler lokaler Bezüge kommen auch internationale Einflüsse in den Gourmet-Restaurants nicht zu kurz. So bei Tohru Nakamura im „Geisels Werneckhof“ in München (zwei Sterne), der seine deutsch-japanischen Familienwurzeln auch in der Küche verbindet. Tristan Brandt wiederum kreiert die Menüs im „Opus V“ in Mannheim (Baden-Württemberg) auf französischer Basis mit asiatischen Einflüssen. Die „Michelin“-Macher zählen ihn zu den „Shootingstars“, weil er innerhalb von nur zwei Jahren den zweiten Stern erkocht hat.
Bei der Auswahl zwischen drei bis neun Gängen verrät Brandt den Gästen in der Regel nur die drei Hauptbestandteile. Etwa Lachs, Apfel und Algen. Jedoch nicht, wie genau das Gericht daraus am Ende komponiert ist. Das sei seine Art von Überraschung- und Erlebnis-Gastronomie, erläutert er. Aktuell steht auf der Speisekarte im „Opus V“ übrigens auch ein Gang mit Gänseleber, Macadamianuss und Rote Bete.