Runder Geburtstag: Der Büstenhalter wird 100
New York (dpa) - Vielleicht wäre heute alles ganz anders, wenn Mary Phelps Jacob vor 100 Jahren nicht so große Brüste gehabt hätte. Und, wenn zudem nicht 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen wäre.
Doch diese beiden ziemlich unterschiedlichen Faktoren trugen dazu bei, dass eine am 12. Februar 1914 zum Patent angemeldete Erfindung das ganze 20. Jahrhundert prägte und noch heute nahezu alle Frauen und Männer beschäftigt: Der moderne Büstenhalter wird an diesem Mittwoch 100 Jahre alt.
Kleidungsstücke, die ohne viel Drumherum die weibliche Brust verdecken, gab es schon vorher. Selbst auf römischen Mosaiken sieht man Frauen in etwas, was man heute Bandeau-Bikini nennen würde. Auch Wikingerinnen trugen angeblich Büstenhalter. Als Mary Phelps Jacob 1891 bei New York geboren wurde, bastelten deutsche Erfinder zwar schon an „Bruststützen ohne Unterteil“. Auch erste Patente auf solche Kleidungsstücke gab es Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA. Doch viele Frauen trugen seit Jahrhunderten an einer Stelle das gleiche: Korsetts. Die sorgten für Halt und schlanke Taillen und schienen ihnen alternativlos.
Jacob jedoch störten die Walknochen, die das Gerüst des Korsetts bildeten, weil die drückten und zudem unter dem Kleid zu sehen waren. Also schnitt die gerade 19-Jährige das Korsett einfach unter der Brust ab und versah den Rest mit ein paar Trägern, die sich seitdem nicht wesentlich verändert haben. Was Jacob vier Jahre später zum Patent anmeldete, war der moderne Büstenhalter.
Großen Erfolg hatte sie selbst nicht damit - wohl aber als Schriftstellerin und Feministin unter dem Namen Caresse Crosby. Sie verkaufte das Patent für 1500 Dollar. Dann sorgte der Krieg in Europa für einen Aufschwung des Kleidungsstückes: Weil alles knapp wurde, sollten amerikanische Frauen doch lieber sparsame Büstenhalter statt Mieder tragen, hieß es. War es Patriotismus? Oder einfach die Überzeugung, dass das neue Ding viel bequemer als die Korsetts war? Der BH setzte sich rasend schnell durch.
Ein halbes Jahrhundert später war für einige aus dem Symbol der Befreiung eines der Unterdrückung geworden. Feministinnen lehnten den von einer Feministin erfundenen BH ab und verbrannten ihn öffentlich. „Bei mir brauchte die Feuerwehr drei Tage fürs Löschen“, scherzte die großbusige Countrysängerin Dolly Parton.
Nicht wenige Frauen mit großen Brüsten tragen heute „Minimizer“, um einfach nicht angestarrt zu werden. Andere wiederum helfen mit „Wonderbra“ und anderen Tricks nach, um mehr vorzugaukeln, als eigentlich drin ist. Denn nach wie vor gilt ein volles Dekolleté für viele als attraktiv. Wer es lieber teuer will: Eine Modekette, die fast nur vom Verkauf von Büstenhaltern lebt, bringt regelmäßig diamantbesetzte Modelle auf den Markt. Der teuerste bisher: 15 Millionen Dollar, 11 Millionen Euro. Anzahl der bisher verkauften Exemplare: null.
Aber für was war der BH nicht alles gut? In Kanada schmuggelten eine Mutter und ihre Tochter 59 000 Dollar in den vier Körbchen über die Grenze. In Uganda wurden Polizistinnen angehalten, Frauen an die Brüste zu greifen auf der Suche nach BH-Bomben. Ein britisches Schlachtschiff hisste einen drei Meter großen BH, um für Brustkrebsvorsorge zu werben. Belgiens Armee bekam hingegen Ärger, weil sie den Büstenhalterzuschlag für Soldatinnen abschaffte. Und Rudi Carrell sorgte gar für diplomatische Verwicklungen, als er Irans Ajatollah Khomeini per Filmmontage in Büstenhaltern wühlen ließ.
Und Männer träumen von Doppel-D, obwohl es diese Körbchengröße in Deutschland gar nicht gibt. Aber nicht nur Männer sind ahnungslos. Einer Untersuchung zufolge kennt jede zweite deutsche Frau ihre BH-Größe nicht, jede dritte trage zu kleine Büstenhalter. Und so kneift und rutscht es auch 100 Jahre nach Mary Phelps Jacob noch.