Schamanismus: Sehnsucht nach Heilung
Auch hierzulande sind sie stark gefragt: Schamanen wollen Mensch, Natur und Seele wieder ins Gleichgewicht bringen.
Düsseldorf. Woody geht zum Therapeuten, Barbara schwört auf ihren Yogi, Martin sucht sein Heil beim Masseur, und Lisa setzt auf ihren Schamanen. Seit den 80er Jahren ist der Schamanismus in Deutschland eines von vielen Heilangeboten — obwohl oder vielleicht gerade weil seine Methoden von der Heilreise bis zum Schwitzbad so gar nicht in die moderne Gesellschaft zu passen scheinen.
Schamanismus soll das Gleichgewicht zwischen Mensch, Natur und Seele wiederherstellen, Krankheiten heilen oder dem Leben einen Sinn geben.
Das Neanderthal Museum in Mettmann widmet dem Thema ab Mai eine Ausstellung, die den Fokus auf die Historie legt. Bärbel Auffermann, stellvertretende Museumsdirektorin, sagt: „Wir zeigen die Lebensweise der Schamanen im 19. Jahrhundert in Sibirien.“ Wo das Phänomen neben Südostasien, Nord- und Südamerika beziehungsweise den arktischen Regionen gemeinhin auch verortet wird.
Der bei uns praktizierte Schamanismus geht zudem auf kalifornische Bestrebungen in den 60er Jahren (zum Beispiel eines Michael Harner) zurück, weiß Mirko Uhlig, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kulturanthropologie und Volkskunde an der Uni Mainz. „Dort entwickelte sich aus einer politischen Atmosphäre heraus eine technikkritische, pauschaler gesagt zivilisationskritische Bewegung.“
Überdies, so Auffermann, lebt der Schamanismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder auf: „Schamanen arbeiten heute offen wie ,Szeneärzte’. Das schwappt auch in den Westen.“
Praktiken und Glaube von Naturvölkern verbinden sich mit der Sehnsucht nach spiritueller Heilung. Das Ergebnis ist vielfältig, „der hierzulande praktizierte Schamanismus ist keine homogene Erscheinung“, relativiert Volkskundler Uhlig. Woher der Begriff letztlich komme, werde in der Forschung seit mehr als 150 Jahren kontrovers diskutiert.
Die Macher der Ausstellung in Mettmann schreiben: „Schamanismus gründet auf dem Glauben, dass alles einen Geist besitzt. Der Schamane vermittelt zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Geister. Mit ihrer Unterstützung kann er wahrsagen und Krankheiten heilen.“
Uhlig selbst ist über seine Forschungen an der Universität Mainz und sein soziales Umfeld auf den heutigen Schamanismus aufmerksam geworden. „Sei es, weil jemand von einer Schwitzhütte erzählt hat oder die Mutter einer Freundin zum Schamanen geht. Und als Alltagsforscher ist man dann mitten drin in der Wissenschaft.“ Seit Jahren ist er den Schamanen in der Eifel auf der Spur, wo es die Tradition des dörflichen Heilers gibt. Er führt Interviews, nimmt an Riten teil und versucht, die Motive der Beteiligten zu ergründen.
Warum gehen Menschen zum Schamanen? Uhlig erzählt: „Manche wollen ihre körperlichen Grenzen austesten, etwa wenn sie an einer Schwitzhüttenzeremonie teilnehmen“, einem Ritual, das ihm bei seiner Forschung immer wieder begegnet ist.
Die Schwitzhütte, ein mit Decken und Planen abgedecktes, oft igluförmiges Holzgerüst, in dessen Mitte erhitzte Basaltsteine liegen, funktioniert wie eine Dampfsauna und dient dem Ziel, mit der „jenseitigen“ Welt oder mit sich selbst in Kontakt zu treten. „Es gibt Menschen, die regelmäßig Schwitzhütten besuchen.“ Das schamanische Ritual wird dann zur Lebensphilosophie.
Seelische Probleme seien ein weiterer Grund, „diese Leute gehen nicht direkt zum Psychotherapeuten, denn der Gang dorthin ist gesellschaftlich immer noch stark stigmatisiert“. Nicht zu vergessen physische Krankheiten: Viele Menschen sind mit dem Gesundheitssystem unzufrieden oder suchen nach alternativen Heilungsansätzen. Die Vorstellung: Indem der Schamane die verlorene Seele eines Menschen zurückholt, heilt er ihn und in der Folge auch seine Krankheit. Heilung durch Veränderung des Denkens, zum Beispiel mittels einer meist 20-minütigen Heilreise.
Uhlig erklärt: „Hier wird versucht, mit Hilfe von Trommeln in eine jenseitige Sphäre einzutauchen. Dies tut man mit einer konkreten Frage. Zum Beispiel: Wieso schmerzt mein Knie? Man wendet sich damit an die jenseitigen Mächte und hofft auf Hinweise. Am Ende werden dann nicht selten die erlebten Reisen und Bilder gemeinsam interpretiert.“
Schamanen kommen aus allen Bildungsschichten, haben oft eine starke Zäsur im Leben erfahren, sind häufig Laientherapeuten. Ihr Werdegang ist sehr unterschiedlich und individuell. Um sich auf dem Heiler-Markt zu behaupten, verweisen sie auf Zertifikate, die sie zum Beispiel bei der European Foundation for Shamanic Studies erworben haben. „In ländlicheren Regionen hat vor allem die Mund-zu-Mund-Propaganda starkes Gewicht“, ergänzt Uhlig. Ansonsten gilt: Zufriedene „Patienten“ kommen wieder.