Schlag dich fit! - Frust ablassen im „Wutraum“
Halle (dpa) - Möbel zerschlagen zum Stressabbau - kein Problem im „Wutraum“ in Halle. Vor Baseballschläger und Vorschlaghammer ist dann auch das Bild vom Chef nicht mehr sicher.
Das Geschirr muss zuerst dran glauben. Im Rhythmus der Heavy-Metal-Musik, die aus den Lautsprechern dröhnt, schmeißt Annegret Wolf die Teller gegen die Wand. Dann schnappt sie sich einen Spiegel von der Kommode und lässt ihn - begleitet von einem Kampfschrei - in unzählige Scherben zerspringen. Mit ihrem Mann Michael ist sie von Einbeck in Niedersachsen nach Halle gekommen, um einmal richtig Frust abzulassen. Denn dort haben die Betreiber von „Schlag dich fit!“ ihren „Wutraum“ eingerichtet, wo man gegen den Stress in Alltag und Job Möbel kurz und klein schlagen kann.
„Unter einem Kurztrip zur Entspannung von Körper und Geist hatte ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt“, scherzte Wolf noch, bevor sie zu Baseballschläger und Vorschlaghammer griff. Unter diesem Vorwand hatte ihr Mann sie zu ihrem 45. Geburtstag nach Halle gelockt. Erst als die Hausärztin Schutzanzug, Handschuhe und Schutzbrille anzog, wusste sie, dass es wohl nicht zum Wellness geht.
Zimperlich ist Wolf aber nicht: Mit einem gezielten Schlag mit dem Baseballschläger zerlegt sie einen Stuhl in seine Einzelteile. „Die Frau hat Power“, sagt Ronny Rühmland anerkennend. Zusammen mit Marcel Braun hat Rühmland die Idee des „Wutraums“ von Amerika nach Sachsen-Anhalt gebracht. Tische, Stühle, Geschirr und auch Elektrogeräte haben die beiden Betreiber von „Schlag dich fit“ in zwei „Wohnzimmern“ aufgestellt, damit die dann wieder auseinandergenommen werden können.
89 Euro kostet das halbstündige Dampfablassen. Die Möbel bekommen die beiden bei Haushaltsauflösungen und über eine Kooperation mit einer Umzugsfirma. „Aber um es noch persönlicher zu machen, kann gerne noch zum Beispiel ein Bild vom Chef dazugestellt werden“, sagt Rühmland.
Nach wenigen Minuten hat Annegret Wolf schon den Großteil der Möbel im Raum zerstört. Mit gerötetem Gesicht kämpft sie nun mit einem Vorschlaghammer gegen einen Staubsauger. „Hier darf man mal alle Konventionen brechen. Das ist super, und lieber zerstöre ich hier Möbel, als dass ich es zu Hause tue oder meinen Frust an jemand anderes auslasse“, sagt die Hausärztin.
Das ist auch ein wichtiges Anliegen der Betreiber. Sie wollen mit Psychotherapeuten und Sozialarbeitern zusammenarbeiten und Menschen mit Aggressionsproblemen in ihren „Wuträumen“ die Möglichkeit geben, sich abzureagieren. „Es ist unser größter Wunsch, dass mit unserer Hilfe Aggressionen nicht gleich in Schlägereien enden“, sagt Rühmland, der auch Pläne hat, weitere „Wuträume“ in Berlin, München und Zürich aufzubauen.
Psychologe Ulrich Winterfeld hält allerdings nichts vom „Wutraum“ als Anti-Aggressions-Behandlung. „Das Zerstören kann so als Erfolgserlebnis aufgenommen werden, und das ist komplett kontraproduktiv. Das kann die Psyche einer Person mit Aggressionen sogar verschlechtern“, sagt der Landesvorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen in Mitteldeutschland (BDP). Kurzfristig könne der „Wutraum“ zwar für Entspannung sorgen. Aber erst wenn man sich intensiv mit einer Person befasse, könne man ein Aggressionsproblem beseitigen.
Gegen die Wand gelehnt, wischt sich Annegret Wolf nach ihren 30 Minuten den Schweiß von der Stirn. Aus dem Wohnzimmer ist ein Trümmerhaufen geworden. „Das war anstrengender als gedacht. Nur an dem massiven Tisch bin ich gescheitert“, resümiert die 45-Jährige schnaufend. Ronny Rühmland klopft ihr anerkennend auf die Schulter, als er ihr ein Wasser reicht. „Keine Sorge, Sie sind schon die Dritte die an diesem Tisch verzweifelt.“