„Safety first“: Schlimmer Verdacht nach Boeing-Absturz in Äthiopien

Hannover/Addis Abeba · Nach dem Flugzeugabsturz in Äthiopien mit 157 Toten hat die Suche nach der Unglücksursache eingesetzt. Ein schlimmer Verdacht drängt sich auf. Denn vor wenigen Monaten gab es bereits einen Unfall mit der relativ neuen Boeing-Reihe. Es gibt bereits erste Flugverbote.

Foto: dpa/Richard Drew

Der Absturz der nagelneuen Boeing 737 Max 8 in Äthiopien verunsichert Passagiere, Airlines und Aufsichtsbehörden. In der Welt der Luftfahrt gibt es besorgte Fragen: Denn die tut sich traditionell schwer damit, an Zufälle zu glauben. Wenn zwei fast neue Maschinen des gleichen Flugzeugtyps in kurzen Abständen in vergleichbarer Fluglage abstürzen, schrillen Alarmglocken. Chinas Luftfahrtbehörde CAAC verhängte daher vorsorglich ein Startverbot für Flieger des Typs Boeing 737 Max 8 und begründete das mit Parallelen zum Absturz einer solchen Maschine der Lion Air im Oktober 2018 in Indonesien.

In kaum einer anderen Branche wird das Thema Sicherheit höher gewichtet als im Luftverkehr. „Safety first lautet der Grundgedanke der Luftfahrt“, sagt Jan-Arwed Richter vom Hamburger Flugsicherheitsbüros Jacdec („Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre“). Auch wenn so kurz nach dem Unglück eine Einschätzung nur spekulativ sein kann, meint der Unfallforscher: „Angesichts von mehr als 350 Toten innerhalb von vier Monaten mit dem gleichen Flugzeugtyp ist es aus meiner Sicht überfällig, jetzt schnellstens genaueste Erkenntnisse darüber zu bekommen, ob es an der Technik gelegen hat.“

Das sehen die Luftfahrtbehörden in China und Indonesien ähnlich, sie erteilten dem Flugzeugtyp vorerst ein Flugverbot. Auch die Fluggesellschaften Ethiopian, Mongolian und Royal Air Maroc lassen ihre Max-Maschinen am Boden. US-Fluglinien wie United und Southwest wollen ihre Jets hingegen weiter starten lassen - ebenso der norwegische Billigflieger Norwegian, der bisher größte Max-Betreiber in Europa. Entscheidungen der Behörden in den wichtigen Regionen USA und Europa stehen noch aus. An der Börse lösten die Nachrichten einen ganz anderen Absturz aus: Boeings Aktienkurs knickte kräftig ein.

Der US-Konzern erklärte am Montag, es gebe nach bisherigem Kenntnisstand keine Grundlage für neue Anweisungen an die Betreiber des Flugzeugtyps. „Sicherheit ist unsere oberste Priorität“, teilte Boeing mit.

Flugzeugabsturz in Äthiopien: Auch Deutsche unter den 157 Toten
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Foto: dpa/Gioia Forster

TUI hat 15 Flugzeuge des Typs in seiner Flotte

Die Vereinigung Cockpit hält die Flugverbote für übertrieben. Es gebe noch keinen Beleg, dass es ein ähnliches Problem wie beim Absturz der indonesischen Maschine gegeben haben könnte, sagt ein Sprecher der Pilotengewerkschaft. Der weltgrößte Reisekonzern Tui prüft noch, was zu tun ist. Zu seiner Flotte gehören bereits 15 Jets dieses Typs, die in Großbritannien und den Benelux-Staaten im Einsatz sind. Bei der deutschen Tochter Tuifly steht die Einführung Mitte April an.

Für den weltgrößten Flugzeugbauer Boeing ist die seit dem Jahr 2017 ausgelieferte 737-Max-Reihe der Verkaufsschlager schlechthin. Sie ist eine Weiterentwicklung des seit Mitte der 1960er Jahre gebauten Mittelstreckenjets 737, dem meistproduzierten Verkehrsflugzeug der Welt. Die 737 gilt als extrem zuverlässig. Um gestiegenen Anforderungen des Luftverkehrs gerecht zu werden, wurde der zweistrahlige Jet immer wieder modernisiert. Auch unter dem Eindruck des Erfolgs des Konkurrenten Airbus versuchte Boeing, das vorhandene Grundmodell bis an die Grenzen des Machbaren anzupassen.

Parallelen um Lion-Air-Flug

Bei den Max-Versionen wurden - analog zum Konkurrenten Airbus mit seinem Modell A320neo - vor allem sparsamere und größere Triebwerke unter den Tragflächen angebracht. Sie ragen bei Boeing aber weiter als bei anderen Versionen nach vorn und erschweren den Piloten in bestimmten Fluglagen die Kontrolle über die Maschine. Daher wurde eine Steuerungssoftware angepasst - sie greift nun stärker in das Geschehen ein. Seit dem Lion-Air-Unglück steht sie in Verdacht, zumindest ein Teil der Unglückskette gewesen zu sein. Ob es auch diesmal so war, soll die Auswertung der gefundenen Blackbox ergeben.

Als verstörend wertet Experte Richter aber schon jetzt den Hinweis in Fachforen auf einen nach der Unglücksmaschine gestarteten Piloten, der die letzten Funksprüche aus der abgestürzten Boeing mitgehört haben soll. Richter sagt: „Der Unglückspilot meldete demnach Probleme mit der Fluggeschwindigkeit - was vom Muster her Parallelen aufdrängt zum Lion-Air-Flug.“

Boeing hatte bis zuletzt Bestellungen für mehr als 5000 Maschinen der 737-Max-Reihe vorliegen, die das Unternehmen in vier verschieden langen Versionen anbietet - von der Max 7 bis zur Max 10. Ende Januar waren davon 350 ausgeliefert. Ryanair hat 135 solcher Jets geordert, betreibt aber nur das Vorgängermodell 737 bisher. Die Lufthansa setzt bei sich und Töchtern wie Eurowings im Mittelstrecken-Segment komplett auf die Airbus-Konkurrenz.

Großflächige Startverbote für den Verkaufshit könnten Boeing schwer treffen. China ist für die Flugzeughersteller ein wichtiger Markt: Mehr als jeder vierte Max-Jet fliegt schon jetzt für Airlines aus dem Reich der Mitte. Dabei hat Boeing dort schon wegen des Handelsstreits zwischen beiden Ländern hohe Strafzölle zu befürchten, die praktisch die gesamte 737-Reihe träfen.

Drohender Imageschaden

Zudem dürften die Startverbote bei Boeing böse Erinnerungen ans Jahr 2013 wecken. Damals verhängten Luftfahrtbehörden auch in den USA einen Flugstopp für den nagelneuen Langstreckenjet Boeing 787 „Dreamliner“ - weil sich Lithium-Ionen-Akkus des Hightech-Fliegers mehrfach entzündet hatten. Drei Monate lang durfte weltweit kein „Dreamliner“ abheben: Der Image-Schaden war perfekt. Und vor Boeings Werkshallen stauten sich Maschinen, weil der Hersteller in dieser Zeit auch neue Jets nicht vom Hof fliegen durfte.

Im Fall der Max würde ein solcher Rückstau um ein Vielfaches größer. Denn während Boeing in dem Jahr gerade mal 65 „Dreamliner“ auslieferte, geht es bei der Max-Reihe bald um zehn Mal so viele Maschinen. Der Platz vor den Werken dürfte da schnell knapp werden.

(dpa)