Streit um Lernmethode Schreiben lernen nach Gehör
Schüler in NRW werden nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet. Das Prinzip ist umstritten.
Düsseldorf/Wuppertal. Disa Saz könte fon ainem Ärstkläsler geschribn wordn sain.
Nach den Sommerferien werden wieder viele I-Dötzchen nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet. Die Kinder schreiben das, was sie hören. Eine sogenannte Anlaut-Tabelle listet mit Bildern den Klang der Buchstaben auf, an denen sich die Schüler orientieren. Rechtschreibfehler spielen eine untergeordnete Rolle und werden erst im Laufe der ersten Schuljahre korrigiert.
Die Methode ist in Deutschland weit verbreitet, aber dennoch umstritten. Kritiker befürchten, dass sich Fehler festsetzen. Tatsächlich beklagt der Verband Lehrer NRW gravierende Rechtschreibschwächen bei Schülern weiterführender Schulen. „Es ist höchste Zeit, diese Sprach-Demolierung zu stoppen. Rechtschreibung ist ein Kulturgut“, fordert der Verband.
Im September 2013 verlangte die FDP im Landtag, die Methode wegen „katastrophaler Defizite in der Rechtschreibung“ auszusetzen und zu prüfen. Die Landeselternschaft gab zu bedenken, dass nicht jedes Kind in der Lage sei, „eine falsch erlernte Rechtschreibung nach ein oder zwei Jahren neu zu lernen“.
Britta Kuhlen hat für die Diskussionen um die Methode kein Verständnis. „Die Kinder machen in Vergleichstests vielleicht mehr Fehler, aber sie schreiben auch viel mehr Worte; auch welche, die sie noch nicht gelernt haben“, berichtet die Leiterin der Matthias-Claudius-Schule in Düsseldorf.
Von Anfang an lernen die Grundschüler parallel verschiedene Rechtschreibhilfen. „Viele denken, dass die Kinder schreiben können, wie sie wollen, aber das ist kein ’Wünsch dir was’. Der Rest der Rechtschreibung wird kontinuierlich aufgebaut“, macht Kuhlen klar. Aus „Disa Saz“ wird so „Dieser Saz“ und schließlich „Dieser Satz.“
Das Ergebnis der Methode sei, dass die Schüler viel mutiger und deutlich längere Texte schreiben. „Das macht denen richtig viel Spaß. Und motivierte Menschen lernen gerne“, erklärt Kuhlen.
Dass man mit „Lesen durch Schreiben“ arbeite, sei außerdem nichts Besonderes: „Das Heraushören der Laute ist elementar und auch in den Richtlinien verankert. So wird an jeder Schule unterrichtet. Man kann schlecht schreiben lernen, wenn man sich nicht fragt, wie das klingt.“
Der FDP-Antrag in NRW wurde abgelehnt. In Hamburg hatten die Kritiker allerdings Erfolg. Im Dezember 2013 wurde „Lesen durch Schreiben“ nach heftigen Protesten verboten. Die Initiative „Wir wollen lernen“ hatte die Methode als „abwegig“ bezeichnet. Die Schüler würden sich selbst überlassen bleiben.
Katja Stengel-Kühl, Lehrerin an der Grundschule Kratzkopfstraße in Wuppertal, widerspricht: „Die Kinder lernen, sich selbst zu kontrollieren, aber dazu gehört natürlich eine gründliche Einführung in die Methode. Die individuelle Förderung durch die Lehrer darf nicht fehlen.“
Stengel-Kühl hat 1997 nach ihrem Referendariat zum ersten Mal mit der Methode gearbeitet. „Lesen durch Schreiben ist eine Methode des Lesenlernens — durch das Schreiben.“ Die Anlaut-Tabelle (siehe Infokasten) spielt in ihrem Unterricht eine große Rolle, täglich wird geübt. „Nach einiger Zeit merken die Kinder, dass sie lesen können“, erklärt sie. Besonders Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund helfe es sehr, sich vorzusagen, was geschrieben wird.
Britta Kuhlen verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung guter Hörvorbilder, etwa Kassetten oder eine Nachbarin, die vorliest. Sie fordert ein stärkeres gesellschaftliches Engagement: „Wir sind als Schule auch verantwortlich, aber alleine schaffen wir das nicht.“
Lehrer der Sekundarschulen führen katastophale Rechtschreibschwächen auf die Methode zurück. Die Fehler hätten sich schon so weit eingeschliffen, dass es sehr mühsam sei, korrekte Schreibweisen zu vermitteln.
„Das kann passieren, wenn man auf der Stufe des lautgetreuen Schreibens stehen bleibt“, räumt Stengel-Kühl ein. „Für die Förderung des Schreibprozesses benötigt man viel Fachwissen und Zeit, aber dann lohnt es sich."