Schriftstellerin Sarah Kirsch: Ein Leben hinter dem Deich
Geburtstag: Die Lyrikerin und Büchner-Preisträgerin Sarah Kirsch wird am Freitag 75 Jahre alt.
Hamburg. "Ich spreche lieber durch meine Texte, mache zwar auch politische Aussagen, aber das ist nicht das Wichtigste für mich. ’Was ist das Wichtigste?’ Gute Texte, die auch gelesen werden. Die Leute sollen meine Gedichte gern haben und mich möglichst in Ruhe lassen." Was die Dichterin Sarah Kirsch 1996 in einem Interview der "Stuttgarter Nachrichten" sagte, gilt offensichtlich auch heute.
Die Autorin, die 75 Jahre alt wird, führt seit 27 Jahren ein schriftstellerisches Einsiedlerleben in einem winzigen Ort in Schleswig-Holstein. Dort in Thielenhemme lebt sie in einem ehemaligen Schulhaus hinterm Deich zwischen Schafen, Kühen und Krähen, die genauso wie Sturm und Meergebraus in ihren Gedichten auftauchen.
Doch ihre rätselhaft einfachen Naturgedichte sind alles andere als naive Landschaftslyrik. Sie schildern Seelenzustände, sind voller hintergründiger Finesse und politischer Anspielungen, pfeifen auf Grammatik und Zeichensetzung, bieten Spott und Trotz im Schnodderton, Grauen über den Zustand der Welt und unvergleichliche Zartheit.
Längst ist Kirsch eine Klassikerin geworden. Alle wichtigen Literaturpreise, darunter den Büchner-Preis (1996), hat sie erhalten. Und ihr Ton ist so unverwechselbar, dass Peter Hacks schon in den 60ern vom "Sarah-Sound" schwärmte - eine Formulierung, die der spröden Verskünstlerin vermutlich gar nicht so gefallen hat.
Auch ihre kurzen, tagebuchartigen Prosatexte bestehen ebenso wie ihre Poeme aus einer Mischung von Umgangs- und Hochsprache; Redensarten, Dialekte, englische Sprachbrocken sind darin zu finden. Dabei ist Natur in Kirschs düsteren Idyllen schon lange mehr kein Zufluchtsort, sondern kündet von Unglück und Zerstörung.
Die Entstehung eines Gedichts beschrieb Kirsch so: "Wann genau bei mir ein Gedicht losgeht, ist im Nachhinein schwer zu sagen. Das hat bei mir meist mit optischen Eindrücken zu tun. Da ist irgendwann mal ein Anfang oder eine Zeile, die ich etwas später in die Mitte eines Textes einbaue; der Anlass kann durchaus trivial sein, kann etwa von einem Fernsehbild herrühren."
So wird das Gesehene zu Schrift - und diese wiederum zum Gesehenen: "Die Lettern, die Wörter sind Bäume und Landschaften nun", schrieb Kirsch, die auch wunderbar zarte Aquarelle malt, in ihrem Prosa-Band "Kommt der Schnee im Sturm geflogen". "Vor allem ist Schreiben eine körperliche Sucht", schrieb die Dichterin, "der materielle Vorgang schüttet Adrenalin gallonenweise aus".
Schreiben und Leben sei für sie eins: "Weshalb ich schreibe, weshalb ich lebe, fällt ja zusammen. Weil ich herausfinden will, was ich hier soll. Auf diesem seltsamen Planeten." Und in einem Interview der "Zeit" erläuterte Kirsch: "Wenn man schreibt, geht es einem um alles, wenn man es ehrlich macht. Das Kunstwerk kann nur groß und schön und sonstwas sein, wenn es mit dem, der es schreibt, so viel zu tun hat, dass der auch daran kaputtgehen kann. (...) Es macht mir Spaß, so zu leben wie ein Gedicht."