Sido: Ein Rapper, der Rente zahlt
Popmusik: Sido hat das heiße Berliner Pflaster hinter sich gelassen. Heute beschäftigt er Angestellte und ist ein guter Vater.
Düsseldorf. Den Block hat er längst hinter sich gelassen. Knapp drei Jahre ist es her, dass Sido, der nie ohne seine verchromte Totenkopfmaske das Haus verließ, mit der Single "Mein Block" und dem Album "Maske" die Bildungsbürger bis ins Mark erschütterte, deren Kinder begeisterte und sich bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften als neues Feindbild empfahl. 180 000 Exemplare verkaufte der Berliner Rapper von seinem Debüt, ein Manifest der Fäkalsprache, auf dem er von Analverkehr und Drogen schwadronierte und eben von seinem Wohnblock im Märkischen Viertel, einer Trabantenstadt im Norden Berlins. "Mein Block", das sind über 16 Stockwerke randvoll mit Dealern, Prostituierten und Kriminellen, die er zu einer Collage sittlicher Perversionen und sozialer Kampfzonen montierte. Es war die Entdeckung des Ghettos für das Showbiz- und die Wohlstandskinder zwischen Bayern und Bremen jubilierten: "Hey, auch wir haben eine Bronx." Doch Berlin ist nicht New York, Kreuzberg nicht die Bronx. Hier beginnt das Dilemma deutscher HipHopper von dem Kaliber eines Gossen-Poeten wie Sido. Wegen der vom US-Rap antizipierten Rollenmodelle und der rohen, gewaltverherrlichenden Sprache schnell als "Gangster-Rap" kategorisiert, vergessen die meisten, dass vieles hier bloße Pose ist. Inzwischen hat er seine Maske abgenommen und sagt "Ich" Authentizität ist schließlich ein gutes Verkaufsargument - ganz gleich, ob dies im Einklang mit der Realität steht oder nur geschickt in Szene gesetzt wird. Ein erfolgreicher Rapper, der wirklich ein Gangster ist, das gibt es in Deutschland eben nicht. Ein Paradoxon: Einerseits muss Sido die Brutalität und den Sexismus in seinen Texten damit beglaubigen, dass das Leben im sozialen Brennpunkt kein Kindergeburtstag ist. Seinen Kritikern muss er zugleich klar machen, dass dies bloß Kulturpflege und nicht zu ernst zu nehmen ist. Das kann auf Dauer ziemlich anstrengend werden. Und so hat sich der 26-jährige Sido entschieden, seine Maske abzunehmen - die in seinen Texten und die auf seinem Gesicht. "Ich", so ist das zweite Album programmatisch betitelt, auf dem er mit den alten Klischees aufräumt: "Ich bin kein Gangster, kein Dieb, kein Killer", rappt er auf der ersten Single. "Ich bin nur ein Junge von der Straße." Und als solcher trägt er seine Brandmarken stolz vor sich her: "Ich bin ein Ghettokind mit Bierfahne und Adiletten/Ich bin ein asozialer Proll und Prolet." Sido - das ist der Soundtrack zu Hartz IV, der neuen Unterschicht und Alltag an der Rütli-Schule. Es ist von Alltagsstress der Armen die Rede ("Nie wieder"), von Aufstiegskämpfen ("Goldjunge"), von Drogenleid ("Bergab") und Vaterglück ("Ein Teil von mir"). Doch während sich Sido in seinen Texten noch im Realismus übt und sich damit in die Tradition Zilles rückt, dessen Bilder von nackten Kindern im Hinterhofdreck anfangs auch provozierten, sieht seine Wirklichkeit längst anders aus. Das Rapper-Leben klingt nun wie ein Startup-Märchen Mit seinem Label Aggro Berlin residiert der zum Klassensprecher für Sozialkritik avancierte Rapper heute im feineren Teil von Kreuzberg, der längst ein ganz normaler Stadtbezirk ist. Er hat Arbeitsplätze geschaffen und führt ordentlich die Rentenbeiträge seiner Angestellten ab. Ein Dutzend Mitarbeiter inklusive Grafik- und Fotostudio umfasst sein Popbetrieb. Outlaw-Posen haben hier keinen Platz. Wer barocke Verfallsopern im großen Stil produzieren will, der braucht seine fleißigen Arbeiter. Das Rapper-Leben als Startup-Märchen. Und das mühsam zusammengerappte Geld wird nicht etwa auf den Kopf gehauen, sondern vernünftig angelegt. Seine Traum: ein Haus mit Garten und ein Auftritt bei "Wetten, dass. . .?!" Lange wird er darauf sicher nicht warten müssen, der Rapper aus der Unterschicht mit der Gangster-Pose und der bürgerlichen Gesinnung, der seinen Block längst verlassen hat.