"Sie lassen uns nicht raus"

Die Vorwürfe gegen die Fluggesellschaft Spanair häufen sich: Passagiere wurden offenbar vor dem Start am Verlassen der Maschine gehindert.

Madrid. Die letzten Worte von Ruben Santana erreichten seine Frau per SMS. "Sie lassen uns nicht raus, alles ist geschlossen" - offenbar in Panik tippte der 46-jährige Passagier des Unglücksfluges JK 5022 diese Botschaft in sein Handy. Nach dem Absturz der Maschine, der am Mittwoch 153Todesopfer gefordert hatte, gab seine Familie diese Nachricht an die Tageszeitung "El Paìs" weiter. Die fand heraus: Gleich mehrere Passagiere wollten offenbar das Flugzeug nach dem wegen technischer Probleme abgebrochenen ersten Startversuch verlassen. Das Personal ließ sie aber nicht von Bord.

Das Recht dazu hatte der Pilot: Er entscheidet, ob Passagiere ein Flugzeug nach dem Boarding noch verlassen dürfen. "Gesellschaften, die einen guten Ruf zu verlieren haben, werden Reisende natürlich ziehen lassen", sagte ein Sprecher des Luftfahrtbundesamtes. Dass Spanair dies den Passagieren nicht erlaubte, bringt viele Angehörige der Opfer noch mehr gegen die Fluggesellschaft auf. Ein Treffen mit Verantwortlichen der Airline verließen viele Hinterbliebene unter Protest.

Der Unmut der Angehörigen speist sich auch durch immer neue Spekulationen über die Ursache des Unglücks. Aus Ermittlerkreisen heißt es, der Absturz sei womöglich nun doch nicht durch einen Triebwerksbrand verursacht worden. Das hatten Augenzeugen zunächst behauptet. Ein Video der staatlichen Flughafengesellschaft soll dagegen zeigen, dass das Flugzeug erst nach beim Aufschlag auf den Boden Feuer gefangen hat.

Auch mehrere Luftfahrtexperten sagten am Freitag, nicht ein Fehler allein, sondern eine Fehlerkette müsse die Katastrophe ausgelöst haben. Spaniens Luftfahrtbehörde vermutet, von einem der Triebwerke könnten beim Start Teile abgefallen sein, die das Leitwerk beschädigt haben. Dies könnte zusätzlich zum Ausfall eines Triebwerks das Flugzeug in der Luft außer Kontrolle gebracht haben. Für die These spricht, dass die toten Piloten den Rettungskräften zufolge mit gebrochenen Armen gefunden wurden - als hätten sie mit aller Kraft versucht, das Flugzeug zu stabilisieren.

Spanair trat am Freitag erneut Vermutungen entgegen, das Unglück könne durch Fahrlässigkeit der Airline-Techniker nach dem abgebrochenen ersten Start verursacht worden sein. Spanische Medien hatten wiederholt über Stellenabbau und chaotische Zustände bei der wirtschaftlich angeschlagenen Fluglinie berichtet. Der Spanair-Pilot und Vorsitzende der spanischen Pilotengewerkschaft Sepla, José Maria Vazquez entgegnete, solche Vorwürfe seien "ungeheuerlich". Auch der deutsche Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt sagte im Bayerischen Rundfunk, Spanair habe einen guten Ruf.

Endgültigen Aufschluss über die Unglücksursache wird wohl erst die Auswertung der Flugschreiber bringen - doch dies werde nach Aussage spanischer Behörden noch mindestens einen Monat dauern. Bis heute abgeschlossen sein soll dagegen die Identifizierung der Todesopfer. Dann wird auch Gewissheit herrschen über das Schicksal der fünf Deutschen, die höchstwahrscheinlich beim Absturz ums Leben gekommen sind.