Sonne, 21 Grad, 95 Dezibel

Um dem Laub zu zeigen, was früher mal eine Harke war, rüsten immer mehr Gärtner mit lautstarker Technik auf.

Foto: dpa

Remscheid. „Wal, da bläst er“, schrieb Hermann Melville und ließ Kapitän Ahab die Jagd auf Moby Dick eröffnen. Heute möchten wir, literarische Leserin, belesener Leser, unken, hat der Laub blasende Nachbar den vom Aussterben bedrohten Meeressäuger in seinem natürlichen Vorkommen überholt.

Sonne, 21 Grad, 95 Dezibel: Der Herbst 2014 dürfte der bislang lauteste in der noch jungen Geschichte des mühelosen, aber krachmachenden elektrischen Gärtnerns werden. Nach einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung hat der Geräte-Absatz im Bereich „powered gardening“ europaweit drastisch zugenommen. Allein im ersten Halbjahr 2014 machten die Hersteller von Laubsaugern, Kettensägen und Rasenmähern in Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Belgien 17,8 Prozent mehr Umsatz als ein Jahr zuvor.

Bis zum Hochsommer kauften die Verbraucher in diesen fünf europäischen Ländern motorisierte Gartengeräte in einem Gesamtwert von 1,38 Milliarden Euro. Allein, was aus den Regalen des Wermelskirchener Bau- und Heimwerker-Marktführers Obi (330 deutsche Märkte, Umsatz 2013: 6,7 Milliarden Euro) seinen Weg in die heimischen Gärten fand, dürfte an Blas- und Saugstärke ausreichen, um ganze Länder zu entlauben.

Da die einzelnen Geräte immer billiger werden — selbst Marken-Puster von Bosch und Gardena sind aktuell schon für unter 100 Euro zu haben — und die Umsätze für akkubetriebene Gartengeräte förmlich explodieren (1. Halbjahr 2014: 145 Millionen Euro Umsatz = 56,9 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum), wird es statistisch immer unwahrscheinlicher, im Herbst einem Nachbarn ohne Laubbläser zu begegnen.

In freier Wildbahn begegnen wir ihm daher täglich und sind ihm schutzlos ausgeliefert. Oder besser: seinen Hinterlassenschaften. Denn kaum hat der vom Kehrer zum Bläser mutierte Gärtner das Laub von seinem Bürgersteig mit 2500 Watt und 300 km/h Windgeschwindigkeit bei 95 Dezibel auf die Straße getrieben, weht es der nächste die Laubansammlung durchpflügende Bus auf den Gehweg zurück.

So schließt sich der natürliche Kreislauf. Worauf der lärmende Nachbar am nächsten Tag wieder zum Blaserohr greift und die Jagd auf das verflixte Laub von vorne aufnimmt. Woran noch scheiterte Melvilles Ahab? An seinem erbitterten Hass auf einen übermächtigen Feind.