Spezies Wiesn-Gast - Eine Typologie
München (dpa) - Es geht wieder los: In den kommenden 16 Festtagen werden in München sechs Millionen Besucher zum Oktoberfest erwartet. Die Wiesn eint sie alle - dabei sind sie so verschieden.
Dirndl, Lederhose, eventuell Filzhut - auf den ersten Blick schauen die meisten Oktoberfestbesucher gleich aus. Aber es gibt erhebliche Unterschiede. Die einen haben eine echte, teure Tracht, die anderen eine billige Kaufhausmontur, schnell auf dem Weg zum Fest gekauft. Manche sprechen bayerisch, andere verstehen das nicht. Die meisten mögen Bier. Aber einige vertragen es nicht in der gebotenen Menge, das ist mindestens eine Maß - ein Liter. Eine Typologie der Wiesn-Gäste:
Der Münchner: Er kommt in Jeans, höchstens im Janker - das Trachtengesumse ist ihm ein Gräuel. Der Münchner der gehobenen Mittelschicht und gehobenen mittleren Alters isst im Biergarten zu Mittag sein Hendl. Oder frühstückt mit Kaffee und Ausgezogenen, einem süßen Fettgebäck. Gut zwei Drittel der Gäste sind Bayern. Manche unken aber, Münchner seien eine bedrohte Wiesn-Spezies, weil es ihnen zu voll ist.
Der einheimische Partygänger: Um die 20 Jahre alt, aus Bayern. Er steht an Samstagen frühmorgens vor dem Zelt, um einen Platz zu bekommen. Auf dem sitzt er bis zum Schankschluss um 22.30 Uhr. Manchmal hat er dann 2 Promille und landet in der Sanitätsstation. Sonst feiert er auf After-Wiesn-Partys weiter. Er fährt mit der Bahn heim - so sehen die Züge auch aus.
Der Trachtler: Echte Trachtler sind am ersten Sonntag zu sehen. Sie laufen in einem der größten Trachtenzüge weltweit zur Wiesn. Frauen brauchen oft Stunden, bis sie ihre historischen Gewänder angelegt und die Haare gerichtet haben. Trachten können mehrere Tausend Euro kosten. Auf dem Fest findet man Trachtler auf der besonders traditionellen „Oidn Wiesn“. Auf Träger von Mini-Dirndl und Billig-Lederhosen blicken sie mit Kopfschütteln - aber in Bayern gilt: „Leben und leben lassen“.
Bub/Madel: Zuckerwatte, süße Limo, Pommes, dazu Geisterbahn, Karussell und Schiffschaukel - die Wiesn scheint ein Eldorado für Kinder. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Der Krach, die vielen Menschen und die langen Wege sind für manchen kleinen Besucher zu viel. Der Wiesntag kann zum Nervenkrieg für Eltern werden. Alternative ist das ruhigere Familienplatzl. Immer wieder gehen Kinder im Gedränge verloren - eine eigene Kinderfundstelle sammelt sie und gibt sie den Eltern zurück.
Der Vegetarier: Veggieday! Früher hätten Vegetarier das größte Volksfest hungrig verlassen müssen. Heute bieten die Wirte natürlich vegetarische und sogar vegane Gerichte an: Käsespätzle. Oder Crêpes mit Schokocreme. Und natürlich Salate. Trotzdem demonstrierten 2012 Vegetarier gegen die Fleischeslust: „Man kann Traditionen und Feiern auch ohne Tierleiden erleben.“ Eine halbe Million Hendl und an die 100 Ochsen sterben für das Fest. Wirtesprecher Toni Roiderer: „Ich mische mich ja auch nicht ein, wenn die Vegetarier dem Vieh das Futter wegessen.“
Maßkrugschläger und Maßkrugdieb:Beide geraten wegen des traditionellen Trinkgefäßes mit dem Gesetz in Konflikt. Wer mit dem Krug zuschlägt, hat diesen zuvor oft mehrfach geleert. Er will sich wehren - weil der Nachbar gerempelt oder die Freundin angeschaut hat. Oft ist der Anlass vor Gericht kaum zu klären. 69 Fälle gab es 2012. Der Maßkrugdieb hingegen möchte meist einfach ein Souvenir. Wirte klagen, der Diebstahl von Krügen habe sich regelrecht zum Volkssport entwickelt.
Der Taschendieb: Der Taschendieb reist ebenso wie die Besucher teils von weit her an, um an dem Großereignis teilzuhaben. Die Polizei beklagt vor allem organisierte Banden, die mit Tricks angetrunkene Besucher um Geldbörse, Handy oder Kamera bringen. Es gibt aber auch den Gelegenheitsdieb - mancher macht es ihm allzu einfach. Gemeinsam legen Taschendiebfahnder aus Österreich, der Schweiz, Belgien, Ungarn und Spanien den Dieben das Handwerk. 2012 nahmen sie 57 Langfinger fest.
Der Italiener: Er kommt im Wohnmobil. Über den Brenner. Mit Zehntausenden anderen. Er will Bier und Spaß. Das zweite Wochenende gehört den Italienern. Dirndl und Lederhose tragen sie längst. Obwohl verboten, stellt mancher sein Wohnmobil an der Theresienwiese ab und sucht nach dem Bierzeltbesuch vergeblich seinen Schlafplatz - abgeschleppt. Den meisten gefällt es so gut, dass sie jedes Jahr wieder kommen. Zur besseren Verständigung werden Südtiroler Polizisten eingesetzt.
Der Australier:Er reist etwa eine Woche vor der Wiesn an - und trinkt sich schon mal ein. Auf dem „Kiwi-Tag“ in Andechs gewöhnt er sich an das bayerische Bier. Es ist stärker als der in Australien übliche Gerstensaft, dafür billiger. Die Kombination aus höherem Alkoholgehalt und niedrigerem Preis ist für manche fatal. Für junge Besucher aus Australien, Großbritannien und anderen Ländern ist das Volksfest ein sportliches Ereignis - das Ziel: jeden Tag möglichst viel trinken.
Der Norddeutsche: Er kommt gern als Gruppe, Stammtisch oder Verein und trägt teils trachtenähnliches Outfit, etwa kariertes Hemd. Das ist eher Holzfällerstil, wird von ihm aber als bayerisch eingeordnet - hält er den Bayern doch für einen Hinterwäldler. Nüchtern macht er sich über ihn lustig. Je mehr er sich an dem bayerischen Bier versucht, desto mehr gleicht er aber dem Bild. Für den Norddeutschen ist die Reise auch eine Safari, bei der er seltene Einheimische erleben möchte.
Der Verweigerer: Es gibt Menschen, die mögen die Wiesn nicht. Sie verabscheuen Lärm. Sie trinken kein Bier. Beim Karussellfahren wird ihnen schlecht. Sie hassen es, auf dem Heimweg durch Exkremente zu tappen. Sie finden Dirndl und Lederhosen blöd. Es gibt Gründe, die Wiesn nicht zu mögen.