„Spoileralarm!“ Das treibt Serien-Fans zur Weißglut
New York · Dieses Wochenende endet der Fantasy-Blockbuster „Game of Thrones“ und schon seit Wochen kennen viele Fans nur einen hysterischen Hinweis: „Nicht Spoilern!“ Wer entscheidende Details zu früh verrät, gilt als Spielverderber. Studien bestätigen aber das Gegenteil.
Zwischen Dortmund und dem Städtchen Buffalo an der amerikanisch-kanadischen Grenze liegen rund 6200 Kilometer Luftlinie. Und doch hat seit kurzem Spitzenfußballer Mario Götze (26) etwas mit LeSean McCoy (33) gemeinsam, dem Running Back der Football-Mannschaft Buffalo Bills. Beide haben Kritik einstecken müssen, weil sie die entscheidende Wendung einer Serie oder eines Films online verrieten.
Götze postete bereits 2016 auf Instagram ein kurzes Video von sich, in dem er überrascht darüber ist, dass ein vermeintlich toter „Game of Thrones“-Charakter noch lebt. McCoy schrieb vor zwei Wochen direkt nach dem Start über den letzten Teil der Superheldenreihe „Avengers“.
Beide Sportstars wurden Opfer eines Trends, den heutzutage viele vom Small Talk im Büro und auf Partys kennen. Sobald es um Details zur Handlung geht, die sie noch nicht kennen, werden die Gesprächspartner leicht aggressiv und zischeln: „Shh, keine Spoiler bitte!“
Der Begriff stammt dabei aus dem Englischen. „To spoil“ beschreibt eigentlich vor allem das „Verderben“ von Lebensmitteln. Doch längst nutzen viele die Formel, um auszudrücken, dass ihnen das Ausplaudern von Details die Vorfreude und das Vergnügen am Gucken verderben. „Die NFL sollte LeSean McCoy suspendieren“, forderte Filmfan Tom Scibelli stellvertretend für viele andere auf Twitter.
Immer lauter werden aber inzwischen auch die Stimmen, die von der sensiblen Diskussion über das Spoilern genervt sind. Ihr Argument: Was kann der Spoilernde dafür, dass die andere Person die neueste Folge einer Hit-Serie noch nicht gesehen hat?
„Jeder scheint damit nur eine eigene Version von Egozentrik auszuleben“, schrieb Kulturkritiker Matt Zoller Seitz bereits 2016 bei vulture.com. Man drücke mit der Anti-Spoiler-Aufforderung lediglich Überheblichkeit aus, findet er, ein Gefühl von „wie immer ich mich entschieden habe, Fernsehen zu schauen, ist der normale oder der beste Weg und jeder, der das nicht respektiert, ist ein Idiot“.
Die Debatte wirkt sich längst sogar massiv auf die Produktion von Filmen aus. Brie Larson, Darstellerin von Captain Marvel in den „Avengers“-Filmen, kam zu „Endgame“ ans Set, ohne je ein komplettes Drehbuch erhalten zu haben. Stattdessen habe man ihr jeden Drehtag morgens wenige Seiten mit vielen geschwärzten Stellen gegeben, sagte Larson dem „Philippine Daily Inquirer“. „Das war also eine komplett schwarz gefärbte Szene und dann war da meine eine Zeile.“
„Spoiler-Paranoia macht unsere Popkultur zumindest ein bisschen schlechter“, findet deshalb Entertainment-Autor Todd VanDerWerff von der Webseite vox.com. Er argumentiert, dass die Schauspieler bessere Leistungen bringen, wenn sie ein größeres Verständnis für Zusammenhänge und die Hintergründe einer Figur haben.
VanDerWerff klagt, ihn nerve die Fixierung auf Spoiler-Warnungen auch, weil die Handlung eines Films nicht alles sei. „Bei Filmen und TV-Serien gibt es Dinge, die über den Plot hinausreichen, beispielsweise die Kunst des Filmemachens, Entscheidungen der Schauspieler und wie eine Einstellung gedreht ist“, schreibt er.
Ähnlich argumentiert Nicholas Christenfeld, Forscher an der Universität von Kalifornien in San Diego. Der Wissenschaftler plädiert für einen entspannteren Umgang mit Spoilern, weil seine Arbeit zeigt, dass Menschen eine Geschichte sogar mehr mögen, wenn sie wesentliche Details bereits kennen. Christenfeld hatte 819 Probanden in Gruppen eingeteilt und einigen Geschichten ohne vorherige Einordnung erzählt oder eine unschuldige Erklärung vorangestellt: „Hier, in dieser Geschichte einer Frau, die ihren Mann mit einer gefrorenen Lammkeule tötet...“ Die Gruppe, die eine solche Auflösung zuvor präsentiert bekam, gab hinterher bessere Noten dafür.
„Wenn man während des Films schon dessen Ende kennt, kann man besser verstehen, was der Filmemacher tut. Man sieht einen großeren Rahmen und versteht die Geschichte flüssiger“, sagt Christenfeld. „Perzeptuelle Flüssigkeit“ nennen Wissenschaftler die Leichtigkeit, mit der Wahrnehmungsreize verarbeitet werden können - je bekannter ein Rahmen, desto leichter fällt den Menschen das Verständnis.
Wer dennoch befürchtet, am Wochenende durch Mitteilungen in sozialen Netzwerken den Spaß am Ende von „Game of Thrones“ zu verlieren, kann immerhin noch auf technische Hilfsmittel zurückgreifen. Browser-Erweiterungen und Apps wie „Spoiler Protection 2.0“ oder „Unspoiler“ sollen auf dem Rechner und am Handy dazu führen, keine entscheidenden Details zu erfahren - bei LeSean McCoy hätte das allerdings nichts gebracht. Der Footballer hatte den Namen einer „Avengers“-Hauptfigur falsch geschrieben, so dass die Filter der Browser-Erweiterungen nicht hätten anspringen können.