Kulturerbe St. Martin — ein Fest für alle Kulturen

Der Kempener Jeyaratnam Caniceus setzt sich dafür ein, dass die St. Martin-Tradition zum Kulturerbe ernannt wird.

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Kempen. Selbst ist er als Kind nie mit der Fackel in der Hand zu St. Martin durch die Straßen gezogen — der Mann, der den Anstoß dafür gab, dass die rheinische Tradition immaterielles Kulturerbe werden soll, heißt Jeyaratnam Caniceus und wuchs auf Sri Lanka auf. Als seine in Deutschland geborene und mittlerweile erwachsene Tochter in den Kindergarten ging, zog auch er zum ersten Mal beim Martinszug in seiner heutigen Heimatstadt Kempen am Niederrhein mit.

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In Kempen hat der Schulkinderzug mehr als 130 Jahre Tradition. Tausende Jungen und Mädchen ziehen am Abend vor dem Martinstag, so auch am Freitag um 17.15 Uhr, durch die Straßen der Altstadt. Für die Kempener ist klar: Es ist der schönste Zug in der Region. Die Stadt hat der Tradition sogar ein Denkmal gesetzt. Kinder mit ihren Fackeln und Martinstüten, die in Kempen Bloes heißen, stehen in Bronze gegossen am Buttermarkt mitten in der Altstadt. Auch für den Kempener Caniceus sind die beiden Züge — am Donnerstag zogen bereits die Kindergartenkinder — mittlerweile eine schöne und unverzichtbare „Pflicht“-Veranstaltung.

Mit dem Brüggener René Bongartz hat Caniceus Informationen zusammengetragen und einen Antrag zur Aufnahme der rheinischen Martins-Tradition in das „Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ gestellt. Dies hat landesweit ein großes Interesse ausgelöst. Caniceus eilt zurzeit von einem Interview zum nächsten.

Der Tamile flüchtete 1985 aus seiner Heimat und kam über Ost-Berlin in den Kreis Viersen. Auf Sri Lanka herrschte damals Bürgerkrieg. So entschloss sich der damals 19-Jährige, nach Deutschland zu gehen. Einfach war die Anfangszeit hier für ihn nicht. Sprachkurse gab es kaum. Zum Glück, sagt der 51-Jährige heute, fand er eine Ausbildungsstelle in einer Elektrofirma, so dass er nicht abgeschoben wurde. Er absolvierte die Meisterschule und ist heute Elektromeister in einem Krankenhaus.

Politisch und gesellschaftlich ist er sehr engagiert. Dem Mitglied im Kempener Stadtrat — bis vor kurzem bei den Grünen, zurzeit fraktionslos — sind besonders die Themen Integration von Flüchtlingen, der Kampf gegen Fremdenhass und das Bewahren der Erinnerung an die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte ein großes Anliegen.

Caniceus ist Christ und in der Kempener Pfarrgemeinde aktiv. In jedem Jahr nimmt er mit seiner Familie an der Tamilenwallfahrt ins niederrheinischen Kevelaer teil. Die Marienverehrung hat für die Tamilen eine große Tradition. Den Heiligen Martin kennt man dort dagegen nicht.

Natürlich spielt der christliche Hintergrund des Martinsfestes für Caniceus eine wichtige Rolle. Als vor einigen Jahren Diskussionen über eine Umbenennung in ein Sonne-Mond-und-Sterne-Fest aufkamen, habe ihn das sehr geärgert. Das sei eine völlig falsche Rücksichtnahme. Von Ausländern habe er in Bezug auf die Tradition nie etwas Negatives gehört. Für Caniceus ist St. Martin ein verbindendes Fest. „Es ist ein ideales Fest für Menschen aller Kulturen. Teilen und Nächstenliebe sind universelle Werte.“ Zunächst, das gibt er zu, sei er nervös gewesen, wie sein Engagement für den Martinsbrauch aufgenommen wird — dass ausgerechnet ein Ausländer diese Initiative startet. Diese Sorge war aber unbegründet. Er erhielt fast nur positive Resonanz und Unterstützung.

Von der Anerkennung als Kulturerbe erhofft sich Caniceus, dass die Vereine gestärkt werden. Er hofft aber auch, dass sich die Martinsvereine mehr für Menschen anderer Kulturen öffnen. Bei den Schützenvereinen beobachtet er diese Öffnung bereits — schließlich hört man schon von muslimischen Schützenkönigen. Und wenn am Freitag die Jungen und Mädchen mit ihren Fackeln durch die Straßen Kempens ziehen, werden wieder Menschen verschiedener Religionen und Kulturen dabei sein und sich daran erfreuen.