Nordrhein-Westfalen Staus in NRW - es wird eher schlimmer als besser
Nordrhein-Westfalen ist Deutschlands Stauland Nummer eins. Eine der Hauptursachen ist der immer weiter zunehmende Lastwagen-Verkehr. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Grund. Und deshalb wird es künftig auch eher noch schlimmer.
Köln. Alexander Schmitz bezeichnet es als seine „tägliche Heimsuchung“ - die Fahrt von seinem Wohnort Köln zu seiner Arbeit nach Düsseldorf. „Was früher eine halbe Stunde gedauert hat, dauert jetzt mindestens eine Stunde - wenn's gut läuft“, erzählt der Projektentwickler. Schuld sind jahrelange Bauarbeiten wie die Neukonstruktion der Leverkusener Rheinbrücke.
Der 45-Jährige steht mit seinen Erfahrungen wahrlich nicht allein: Auf den Autobahnen in Nordrhein-Westfalen kommt der Verkehr immer häufiger zum Erliegen. Im vergangenen Jahr zählte der ADAC in NRW insgesamt 218 000 Staus - fast 20 Prozent mehr als 2015. Nordrhein-Westfalen bleibt damit in Deutschland Stauland Nummer eins. Und das wird sich in absehbarer Zeit nicht bessern, im Gegenteil: „Kurzfristig müssen wir uns eher auf noch mehr Staus einstellen“, warnt der Duisburger Stauforscher Michael Schreckenberg.
Ein Grund dafür ist die hohe Zahl von Pendlern: Mehr als jeder Zweite der knapp neun Millionen Berufstätigen in NRW verdient sein Geld nach Angaben des Statistischen Landesamtes nicht am Wohnort. Ein anderer Grund sind die Baustellen. Viele Autobahnen und Brücken entstanden in der Nachkriegszeit, vor allem in den 60er Jahren. „Und jetzt ist die Halbwertszeit eben in vielen Fällen überschritten“, sagt der Historiker und Infrastruktur-Experte Dirk van Laak.
Die damals gebauten Brücken waren zudem nicht auf den heutigen Schwerlaster-Verkehr ausgelegt. „NRW ist das logistische Herz Europas“, erläutert Thomas Puls, Infrastruktur-Experte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Der Welthandel läuft zu einem wesentlichen Teil über drei Häfen: Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. Und die Zufahrtswege dahin überschneiden sich in NRW. Deshalb haben wir hier den gewaltigen Lastwagenverkehr.“ Und der nimmt immer noch zu - nach Angaben von Schreckenberg um gut zwei Prozent im Jahr.
Das Verkehrsnetz muss also angepasst werden, doch das ist schwierig. Einspruchsmöglichkeiten, Verbandsklagerechte, Umweltprüfungen - es kommt so einiges zusammen. Die Zahl der Beamten, die diese Anträge prüfen müssen, ist jedoch zur selben Zeit abgebaut worden. Die Folge: Viele Länder können die Mittel, die ihnen der Bund zur Erneuerung ihres Verkehrsnetzes zur Verfügung stellt, gar nicht mehr ausschöpfen.
Dazu kommt, dass Planen für die Länder teuer ist. „Der Bund gibt den Ländern für die Planung eines Projekts drei Prozent des Volumens als Planungskosten“, sagt der IW-Experte Puls. „Das ist ein Wert, den hat man 1971 angesetzt. Heute wären wir realistischerweise bei 18 Prozent. Die Differenz zwischen 3 und 18 Prozent muss aus den Landesetats gedeckt werden. Einem reichen Land wie Bayern fällt das leichter als einem armen Land. Das ist einer der Gründe, warum die so gut dastehen.“
Aber nicht nur die Kosten für die Planung, sondern auch die für den Bau sind stark gestiegen: seit 2005 um 33 Prozent. Obendrein fehlt es auch noch an Bauingenieuren - Folge einer langen Krise auf dem Bau von etwa 1995 bis 2010. „Jetzt haben wir zwar einen Aufschwung, aber die wenigen Bauingenieure, die da sind, gehen eher nicht in den öffentlichen Dienst, sondern in die Privatindustrie, weil sie da viel mehr verdienen können“, sagt Puls.
Das vielleicht größte Problem: Selbst wenn die Erneuerung der maroden Infrastruktur zügig vorangehen sollte - in 20 Jahren wird der Lastwagenverkehr voraussichtlich erneut so stark zugenommen haben, dass die Autobahnen völlig verstopft sind und auch die neuen Brücken wieder Risse bekommen. Deshalb sagen Experten wie van Laak: „Das reine Fordern von weiterem Ausbau kann nicht das letzte Wort sein, denn es zeigt sich, dass jede Erleichterung wieder neuen Verkehr erzeugt.“ Auch für den Ökonomen Puls steht fest, dass die Infrastruktur nicht immer weiter ausgebaut werden kann.
Prof. Schreckenberg fordert deshalb, die Attraktivität der Bahn deutlich zu verbessern, um mehr Pendler von der Straße zu locken. „Attraktiver machen bedeutet für mich einmal: bessere preisliche Angebote. Zum Beispiel ein bezahlbares Monatsticket, mit dem man in ganz NRW mit allen Zügen, Bahnen und Bussen fahren kann anstatt immer nur in einem bestimmten Verkehrsverbund. Das zweite ist der Komfort: Gucken Sie sich die Bahnhöfe an, das ist eigentlich eine Unverschämtheit, was einem da geboten wird für das Geld. Und dann gucken Sie sich an, wann überhaupt noch gefahren wird - ab Mitternacht kommt die S-Bahn hier im Ruhrgebiet nur noch einmal die Stunde.“
Alexander Schmitz aus Köln ist sich darüber im Klaren, dass er noch auf Jahre hinaus im Stau stehen wird. Auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen will er nicht, weil er mit Fahrrad, Bahn und Straßenbahn noch länger unterwegs wäre. Und ein Umzug nach Düsseldorf kommt für ihn auch nicht infrage: „Ich bin FC-Fan.“