„Stresstest“ ist das Wort des Jahres
Wiesbaden/Stuttgart (dpa) - Stresstests für Atomkraftwerke, Stresstests für Banken, Stresstests für Schüler - ein Wort hat Hochkonjunktur. Nun hat es der aus zwei englischen Wörtern zusammengesetzte Begriff sogar geschafft, in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt zu werden.
Das Wort „Stresstest“ sei „sprachlich äußerst produktiv“, weil es auf immer neue Bereiche angewandt werde, sagt Prof. Armin Burkhardt, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden.
„Nicht nur Banken wurden auf ihre Belastbarkeit getestet, auch etwa das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und deutsche Atomkraftwerke wurden Stresstests unterzogen“, heißt es am Freitag in der offiziellen Mitteilung zum Wort des Jahres 2011. „Diese Praxis und somit das Wort erlangten dadurch politische, wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Relevanz. So ist Stresstest mittlerweile als fester Bestandteil der Alltagssprache anzusehen.“
Zuletzt hatten die europäischen Banken Stress mit dem Stresstest. In Deutschland fiel die Landesbank Hessen-Thüringen, kurz Helaba, im Dezember aus formalen Gründen erneut durch die Prüfung der Europäischen Bankenaufsicht EBA. „Wir sind entstresst“, sagt Helaba-Sprecherin Ursula-Brita Krück trotzdem. Die geforderte Kapitalaufstockung sei unterwegs.
Der einfache Begriff steht meist für komplizierte technische Vorgänge, die Laien kaum zu erklären sind. „Unter dem Wort "Stresstest" glaubt sich jeder etwas vorstellen zu können“, hat Krück beobachtet. Im Fall der Banken bedeute es viel Rechnen, einen hohen Personalaufwand. „Im Prinzip ist das ein hochkomplexes, arbeitsintensives Thema.“ Trotzdem sieht sie Stresstests für die Banken grundsätzlich positiv, und die nächsten stehen schon ins Haus.
Eigentlich stammt das Wort Stresstest aus der Medizin. Ärzte verstehen Stress als körperliche und/oder seelische Belastung. Ein Test soll ausloten, wie auf Stress reagiert wird und wie viel noch tolerabel ist. „Früher wurden Raucher und Diabetiker einem Stresstest ausgesetzt“, sagt Doris Steffens vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Sie datiert die Schöpfung des Begriffs in die 90er Jahre. „Er ist griffig, wertneutral, bringt etwas auf den Punkt und kann auf viele Bereiche angewendet werden.“
Der Stresstest sei mit der Schlichtung zum umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 in den normalen Sprachgebrauch eingegangen - das nimmt Heiner Geißler für sich in Anspruch. Zuvor sei das Wort nur in Fachkreisen verwendet worden. „Wir können das für uns beanspruchen“, sagt der Politiker am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Der ehemalige CDU-Generalsekretär hatte als Schlichter angeordnet, die Leistungsfähigkeit des umstrittenen Tiefbahnhofs noch einmal zu überprüfen.
Doch schon damals gab es Kritik an der Wortwahl. Die Ko-Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Brigitte Dahlbender, fand den Hype um das Wort unsäglich: „Jede Überprüfung von irgendetwas ist gleich ein Stresstest.“ Dabei sei der Stresstest für das Bahnprojekt Stuttgart 21 etwas ganz Spezielles gewesen. „Das kann man nicht auf alles eins zu eins übertragen.“