Stürme, Starkregen, Schädlinge - Der Wald ist gestresster als früher
Gegenüber dem Vorjahr hat sich der Zustand zwar verbessert. Aber im Langzeitbild zeigt sich, wie die Bäume zu kämpfen haben.
Düsseldorf. Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU) nähert sich dem Thema auf der emotionalen Schiene: „Wald ist für mich ein Gefühl, ein Stück weit Heimat, auch Erinnerung.“ Sie ist sicher: „Wenn Bäume reden könnten, wäre es beeindruckend.“ Später wird sie noch erzählen, dass ihr Lieblingsbaum dort steht, wo sie zu Hause ist. Schon als Kind sei sie auf ihm herumgeklettert.
Nüchterner kann man sich dem jährlichen Waldzustandsbericht über die Kronenverlichtung nähern. Sie beschreibt vereinfacht den Eindruck, wenn man in die Baumkrone blickt: Ist sie dicht mit Laub oder Nadeln besetzt, weist sie dünnere Stellen auf oder gar gravierende Lücken? Immer dieselben 10 000 Bäume werden auf diese Weise allein in NRW Jahr für Jahr von extra geschulten Fachleuten der Forstwirtschaft begutachtet.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Gesamtsituation leicht verbessert. 25 Prozent der Bäume gelten als stark beschädigt (wobei diese Schadstufe ab einer um mehr als ein Viertel zu lichten Krone beginnt). 2016 waren es noch 29 Prozent. Verbessert hat sich vor allem die Situation bei der Buche, aber auch Fichten haben sich erholt. Schwer hat es nach wie vor die Eiche: Ein Drittel der Bestände weist deutliche Schäden auf. Der Aufwärtstrend seit 2013 setzte sich in diesem Jahr nicht fort.
Aber eine so kurzfristige Betrachtung wird den langsamen Entwicklungen im Ökosystem Wald nicht gerecht. Jährliche Schwankungen können beispielsweise auch mit der Fruchtbildung zusammenhängen. Fällt die in einem Jahr besonders stark aus, hat die jeweilige Baumart weniger Kraft für ihre Blätter oder Nadeln.
Ein Blick auf die Gesamtergebnisse seit dem Beginn der Erhebungen in den 1980er Jahren macht dagegen deutlich: Die Situation des Waldes ist deutlich schlechter als zu Hochzeiten der Diskussionen um Waldsterben und Sauren Regen. „Böden haben ein langes Gedächtnis“, sagt Hubert Kaiser, stellvertretender Leiter der Abteilung Forsten und Naturschutz im NRW-Umweltministerium.
Will heißen: Obwohl beispielsweise die Schwefeldioxid-Emissionen seit den frühen 1990er Jahren massiv zurückgegangen sind, haben die Böden die alten Schadstoffe noch gespeichert. Zwar erholen auch sie sich allmählich, „aber von einer Wiederherstellung kann man noch lange nicht sprechen“, sagt Kaiser. Und zu den Spätfolgen der früheren Emissionen kommt eine neue Belastung: durch den Klimawandel.
Mehr Stürme im Winter, mehr Starkregen im Sommer, Phasen großer Nässe und großer Trockenheit, mehr Schädlingsbefall durch wärmere Winter — „die Bäume stehen unter Druck und geraten in Stress“, beschreibt Kaiser die Auswirkungen. Jede einzelne Belastung für sich genommen wäre nicht das Problem. „Aber die Erholungsphasen gehen zurück. Ein Ereignis folgt auf das andere.“
Die Wälder müssten daher fit gemacht werden für den Klimawandel, fordert Ministerin Schulze Föcking. Sie setzt auf die größere Stabilität von Mischwäldern. Das unterscheidet sie nicht von ihrem Vorgänger Johannes Remmel (Grüne). Aber sie nimmt für sich in Anspruch, alle Schritte deutlich intensiver mit den Waldbauern vor Ort abzustimmen. Verbesserungen verspricht die Ministerin sich auch von einem neuen Waldbaukonzept, das 2018 vorliegen soll und um ein „klimadynamisches Waldinformationssystem“ ergänzt wird. Dieses Online-Angebot werde jedermann zugänglich sein.
Der Naturschutzbund (Nabu) NRW kritisiert den Zustandsbericht als ungenügend. Er vermisst die Erfassung weiterer wichtiger Parameter wie den Alt- und Totholzanteil im Wald. „Es dürfen viel zu wenige alte Bäume in den Wäldern stehen bleiben. Bereits im Alter von etwa 70 Jahren werden viele Bäume im Wirtschaftswald gefällt“, beklagt Heinz Kowalski, stellvertretender Nabu-Vorsitzender in NRW.
Gerade alte Bäume seien aber für die Vogelwelt wichtig. Viele Vogelarten, Käfer oder Pilze bräuchten zudem abgestorbene Bäume, von denen es in den meisten Wäldern aber zu wenig gebe. Der Nabu fordert daher einen Anteil von mindestens fünf Prozent unbewirtschafteter Wälder.
Kritisch bewerten die Umweltschützer auch reine Douglasienbestände wie im Hochsauerland. Während das Ministerium dem eigentlich in Nordamerika beheimateten Nadelbaum einen festen Platz in der Waldbewirtschaftung einräumt, sieht der Nabu ihn „bereits jetzt massiv von Schädlingen befallen“. Er solle nur als Mischbaum gepflanzt werden.