Terrorverdacht: Giftfund nach CIA-Tipp
Ein 29-Jähriger stellt wochenlang in seiner Hochhauswohnung in Köln gefährliches Rizin her. Ermittler kamen ihm durch eine Bestellung im Internet auf die Schliche.
Köln. Ein Mann stellt in einem Kölner Hochhaus akut giftiges Rizin her. Mit Pflanzen-Samen und einer Kaffeemühle. Dort, wo viele Familien wohnen, dicht an dicht. Das Mittel kann schon in kleinen Mengen tödlich wirken. Der 29-jährige Tunesier hat laut Ermittlern Samen in üppigen Mengen online bestellt — und ist dadurch aufgeflogen. Spezialkräfte finden das Bio-Gift in seiner Wohnung. Dort, wo er auch seine eigene Frau und die Kinder über Wochen einem womöglich hohen Risiko aussetzte. Der Tipp an die deutschen Sicherheitsbehörden soll vom US-Geheimdienst CIA gekommen sein.
Was der Mann mit dem Bio-Gift möglicherweise anrichten wollte, werden die Ermittlungen offenlegen. Vieles ist noch ungewiss. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft verdächtigt den Mann, „vorsätzlich biologische Waffen hergestellt zu haben“. Er hätte mit dem Rizin wohl viele Menschen töten können. Einen konkreten Anschlagsplan hatte der Giftmischer aber offenbar nicht, auch keinen Zeitpunkt oder speziellen Ort im Visier. Vieles lässt dennoch stark erschaudern.
Der Festgenommene hat vor etwa vier Wochen den ersten Schritt für einen vielleicht teuflischen Plan gemacht: Er bestellt rund 1000 Rizinus-Samen im Internet — und eine elektrische Kaffeemühle dazu. Der Düsseldorfer Toxikologe Gerhard Fritz geht davon aus, dass der Tunesier damit Rizin-Pulver hergestellt hat. „Die geringste Dosis Rizin ist schon tödlich, es gibt kaum etwas, was gefährlicher wäre, das Gefahrenpotenzial dieser Substanz ist superhoch.“ Der Stoff aus einem einzigen Samen könne bei einem Kind zum Tode führen.
Drohte eine Katastrophe? Ob er einen islamistisch motivierten Anschlag begehen wollte, bleibt gestern, zwei Tage nach dem Gift-Fund, noch offen. Ein Anfangsverdacht „für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ bestehe jedenfalls, sagt die Bundesanwaltschaft.
Zu Spekulationen, ob der 29-Jährige eine Bombe bauen wollte, meint Toxikologe Thomas Hofmann von der Universitätsmedizin Mainz: „Ich halte es eher für utopisch, dass der Verdächtige aus dem Pulver eine Bombe herstellen wollte, denn das ist technisch sehr anspruchsvoll. Allerdings ist es nicht auszuschließen, wobei anscheinend kein Sprengstoff gefunden wurde.“
Hofmann betont: „Rizin ist eines der hochwirksamsten Toxine aus der Pflanzenwelt, das Pulver der Samen des Wunderbaums ist dabei aber nicht so wirksam wie das reine Rizin, da es nur einen Anteil ausmacht.“ Der Direktor des Instituts für Toxikologie stellt aber auch klar: „Von der Giftmenge her könnte man theoretisch damit viel Ungutes durchführen und Menschen töten.“ Ein schlimmes Szenario: „Sehr gefährlich wäre das Giftpulver etwa, wenn es in die Nahrungskette gelangen würde. Das hätte weitreichende Folgen.“
Wissenschaftler Fritz ergänzt: „Ein terroristisches Potenzial würde grundsätzlich davon abhängen, wie viel von dem Stoff tatsächlich genau vorhanden war und auf welchem Weg es möglicherweise verbreitet werden sollte.“ Das Pulver könne — ins Essen oder Wasser gemischt — große Menschengruppen schädigen. Um die Rizin-Reinsubstanz herzustellen, brauche es aber größeres Know-how und ein Labor.
Noch viele Fragen bleiben zunächst unbeantwortet — auch zur Person. Nach Medienberichten ist der Verdächtigte 2016 aus Tunesien nach Deutschland gekommen, war bisher unauffällig, lebte mit einer zum Islam konvertierten Deutschen in Köln. Karlsruhe äußert sich nicht näher zu dem 29-Jährigen, gegen den Haftbefehl erlassen wurde. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt, er habe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mann Komplizen hatte.
Seine Ehefrau wird nicht beschuldigt. Sie wohnt vorübergehend an einem unbekannten Ort, wie eine Stadt-Sprecherin sagt. Denn rund um das Hochhaus in der Osloerstraße in Köln-Chorweiler macht sich große Unruhe breit, seit das Treiben ihres Mannes aufgeflogen ist. Dieter Simon (53) ist schockiert: „Wenn das hier ins Wasser geschüttet worden wäre, wären Hunderte Menschen gestorben.“ Den Verdächtigen habe er nicht gekannt. Dass der an Bio-Waffen gearbeitet habe, habe man natürlich nicht ahnen können.
Die Ermittler wussten aber wohl früh, was in der Wohnung lagerte — sie rückten gut gesichert und mit Atemschutzmasken an. Experten in Dekontaminationsanzügen starteten erste Analysen. Auch Wissenschaftler des renommierten Robert-Koch-Instituts (RKI) eilten nach Köln, bestätigte eine Sprecherin. Dem RKI zufolge sind laut Chemiewaffenübereinkommen von 1997 der Handel und Umgang mit der Reinsubstanz beschränkt. Im Kalten Krieg wurde das Gift von östlichen Geheimdiensten verwendet.
Sollte das Toxin gespritzt werden, tritt dem RKI zufolge schon binnen 36 bis 48 Stunden der Tod ein. Auch eine Vergiftung durch Inhalation sei lebensbedrohlich. Dass man die Samen frei im Internet kaufen kann, löst bei Experte Gerhard Fritz Sorgenfalten aus: „Wenn wir im Institut einen potenziell toxischen Stoff im Chemiefachhandel bestellen wollen, um drei Mäuse zu narkotisieren, dann ist das ein Riesenaufwand. Aber Rizinus-Samen werden einfach so im Internet bestellt und verschickt.“ Wissenschaftler Hofmann gibt dagegen zu bedenken: „Es gibt viele giftig wirkende Stoffe, die freiverkäuflich im Internet oder im Geschäft, im Gartencenter, erhältlich sind. Den Verkauf zu unterbinden, ist schwierig.“