Tina Turner: Die Rock-Seniorin mit Sex-Appeal
Tina Turner wird 70 Jahre alt: Die Poplegende hat die Ehehölle und einige Karriere-Knicks gut überwunden.
Zürich. Im Mai fetzte sie noch in Netzstrümpfen und im superkurzem Lederrock über die Bühne. Am Donnerstag wird Tina Turner 70. Das Magazin "Rolling Stone" rühmte sie als "eine der größten Stimmen aller Zeiten". Bei ihrer bisher letzten Tournee blieb nicht ein Platz frei. Mühelos füllte die Rock-Veteranin mit der Löwenmähne die Olympiahalle in München, das Staples Center in Los Angeles und das O2-Stadion in London.
Derzeit legt sie eine Pause ein. Fragt sich nur, wie lange. Fünf mal schon hat sich die Sängerin mit der rauchig-röhrenden Stimme in den Ruhestand verabschiedet. Jedes Mal kehrte sie ins Show-Business zurück, als wäre die Zeit spurlos an ihr vorbeigegangen: Kein Zeichen von Alter und Müdigkeit, kein Verlust an Vitalität und erotischer Ausstrahlung.
Dabei liebt Turner inzwischen die Ruhe. "Ich bin einfach gern zu Hause. Dort kann ich die Musik hören, die mir gefällt, und meinen Lieblingswein trinken", erklärte sie im Juni bei ARD-Talker Reinhold Beckmann. Von Köln, wo sie sich lange zu Hause fühlte, siedelte sie 1994 mit ihrem deutschen Lebenspartner Erwin Bach nach Küsnacht bei Zürich um. "Egal, wo er hingeht, ich werde mit ihm gehen", sagte sie einmal.
Es war ein weiter Weg dorthin von Brownsville (Tennessee). Als Anna Mae Bullock wurde sie geboren, ihr Vater war schwarzer Vorarbeiter auf einer Baumwollplantage, die Mutter hatte indianisches Blut in den Adern. Die kleine Anna war Mitglied einer Gospelkirche, wandte sich während der 70er Jahre jedoch dem Buddhismus zu und folgt seinen Lehren bis heute.
Nach der Schulzeit traf sie in St. Louis den acht Jahre älteren Gitarristen Ike Turner. Mit der ersten gemeinsamen Single "Fool in Love" stürmten sie 1960 die US-Hitparaden. Ein weiterer Meilenstein war der Song "River Deep Mountain High", den Phil Spector 1966 für Tina komponierte.
Der Erfolg des seit 1962 verheirateten Paares wurde durch die Drogensucht, Untreue und Brutalität des Ehemannes überschattet. Nachdem Tina am 2. Juli 1976 in einem Hotelzimmer in Dallas erneut von Ike zusammengeschlagen worden war, massierte sie ihn noch einmal wie gewohnt in den Schlaf. Dann aber nahm sie die vier Kinder - ihre eigenen Söhne und die zwei Stiefkinder - und flüchtete mit wenig Geld, Zunächst versteckte sie sich bei Freunden.
Bei der Scheidung verzichtete Tina auf Unterhalt und alle Rechte an der gemeinsamen Musik. Sie hatte eine halbe Million Dollar Schulden und lebte jahrelang von Sozialhilfe. Im Dezember 1983 hatte sie mit dem Song "Let’s Stay Together" endlich wieder einen Hit. Im folgenden Jahr veröffentlichte sie das Album "Private Dancer", das sich mehr als elf Millionen Mal verkaufte.
Es war das Riesen-Comeback einer 45-Jährigen, Publikum und Kritiker lagen ihr zu Füßen. Im Jahr 1986 stellte sie den Rekord für das größte zahlende Publikum einer Solokünstlerin auf: 186.000 Menschen kamen zu ihrem Konzert in Rio de Janeiro. Es folgten weitere Hits, Filmrollen und Preise.
Ihre Autobiografie "Ich, Tina" wurde zum Bestseller, das Buch wurde verfilmt. Ihre Lebensgeschichte fasziniert das Publikum wohl auch, weil sie etwas Tröstliches hat: Sie illustriert den Sieg des Guten über das Böse, die erfolgreiche Selbstbehauptung einer gedemütigten Frau. Ihr Ex-Mann Ike starb 2007 in Armut.