TV-Tipp Träumen um des Erfolgs willen – darum geht es im Münchener „Tatort“

Köln · Die klangvolle Münchener „Tatort“-Folge „Dreams“ thematisiert das Phänomen des Klarträumens und den Leistungsdruck in der klassischen Musik. Die Vorschau für den Sonntagabend-Tatort.

Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) fragen sich, wer den Flügel zerstört haben könnte in einer Szene aus dem Tatort „Dreams“.

Foto: dpa/Hendrik Heiden

Das Gehirn, dieser faszinierende, noch unzureichend erforschte Kontinent in unserem Kopf, kann die tollsten Kunststücke vollbringen. Turnerinnen und Turner trainieren zum Beispiel im Schlaf besonders komplizierte Übungen. Denn sogenannte „Klarträumer“ sind sich bewusst, dass sie träumen, und können deshalb ein Stück weit ihre Träume kontrollieren und selbst gestalten. Auch unter Profi-Musikern kommt die Technik zur Anwendung.

Der Regisseur oder die Regisseurin des eigenen Kopfkinos sein zu können – ein Traum. Oder vielleicht doch ein Alptraum, weil auch mal was außer Kontrolle geraten kann? Im „Tatort – Dreams“ hat die junge Geigerin Marina (Jara Bihler) ihre Freundin – und Konkurrentin – Lucy (Dorothée Neff) im Streit mit einer Glasscherbe getötet. Aber Marina, die Klarträumerin, ist sich nicht sicher, ob das wirklich geschehen ist. „Vielleicht war alles nur ein Traum“, erklärt die aufgelöste junge Frau den Kommissaren Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl). Am vermeintlichen Tatort, auf dem Dach der Philharmonie am Gasteig, findet die Polizei tatsächlich Blut von der vermissten Lucy, aber keine Leiche. Seltsam auch, dass Marina nicht sofort zur Polizei gegangen ist, um ihr „Geständnis“ abzulegen, sondern erst Tage später.

Der Krimispannung im Münchener „Tatort“ stehen manchmal einige verhältnismäßig umfangreiche Info-Blöcke im Weg, denn die redaktionell ausgewählten Themen müssen im deutschen Lieblingskrimi ordentlich erklärt werden. Dafür ist die – pardon – aufgeweckte Schlafforscherin Dr. Deah (Katrin Röver) zuständig, die auch einigen Problemen der Kommissare schnell auf die Schliche kommt. Immerhin: Da kann man wirklich etwas lernen. So schnarcht der unter Schlafstörungen leidende Batic zu guter Letzt selig vor sich hin, weil er endlich Dr. Deahs Tipp beherzigt hat – was vermutlich zu einem erhöhten Absatz von Datteln und Jogurt in den nächsten Tagen führen wird.

Die Kommissare treiben ihr übliches selbstironisches Spiel, schön ergänzt durch den gewitzten Kollegen Kalli Hammermann (Ferdinand Hammermann), der die Kärnerarbeit erledigt, aber die alten Zausel schon zu nehmen versteht. In „Dreams“ sinnieren Batic und Leitmayr im Tonfall eines Paars, das sich an die Zeit vor ihrer Beziehung gar nicht mehr erinnern kann, das sei „der merkwürdigste Fall in – wie lange halte ich’s jetzt mit dir aus? – 30 Jahren“. Das ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen angesichts von 87 „Tatort“-Folgen mit Nemec und Wachtveitl seit dem 1. Januar 1991. Könnte allerdings auch sein, dass der Bayerische Rundfunk auf Online-Klickstrecken à la „Die zehn merkwürdigsten Münchner ,Tatort‘-Filme“ spekuliert.

Drehbuch-Autorin Johanna Thalmann, die gerade erst für den Frankfurter „Tatort – Luna frisst oder stirbt“ verantwortlich zeichnete, wechselt nun von der Literatur in die Welt der klassischen Musik. Gemeinsam mit Moritz Binder schrieb sie eine Geschichte über den enormen Erfolgsdruck, unter dem junge Frauen und Männer stehen, die in einem Orchester aufgenommen und Karriere machen wollen. Die Freundschaft von Marina und Lucy wurde offensichtlich auf eine harte Probe gestellt. Beide hatten sich um den freien Posten der stellvertretenden Konzertmeisterin beworben. Außerdem war Marina drauf und dran, Lucy den Freund auszuspannen, den Leistungsturner Mats Haki (Theo Trebs). Er nimmt wie die beiden Frauen an der Klarträumer-Testreihe von Dr. Deah teil – und ist zugleich der Finanzier dieses „Zeltlagers für Hochbegabte“, wie der ohne Schlaf zunehmend gereizte Leitmayr spottet.

Regisseur Boris Kunz bietet bei seinem „Tatort“-Debüt keine deftig-bayerischen Turbulenzen wie in „Hindafing“ und auch keine medienkritische Satire wie in „Labaule & Erben“. Dafür verschwimmen hier die Grenzen zwischen Traum und Realität schön fließend und in bisweilen eindrucksvollen Bildern, etwa vom „Großstadtdschungel“ München. Aber erst im Finale reizt Kunz die Möglichkeiten des Themas wirkungsvoll aus.

Die entscheidende Wende setzen der Regisseur und Kameramann Volker Tittel im spannend montierten Wechsel aus vielen Erinnerungen, einem Abschieds-Video und Action im Konzertsaal in Szene. Dann ist das Orchester des Bayerischen Rundfunks (BR) unter der Leitung von Ivan Repušić auf der Bühne im imposanten Gasteig-Gebäude auch mal zu sehen. Aber eigentlich ist es dank der Filmmusik des Komponisten David Reichelt stets präsent in diesem klangvollen „Tatort“. 

„Tatort – Dreams“, ARD, 7. November, 20.15 Uhr