„Umstellung der Zeit“ - Wechsel an der Hanser-Spitze
München (dpa) - Michael Krügers jüngster Gedichtband trägt den Titel „Umstellung der Zeit“ - und genau das ist es, was seinem Hanser Verlag nun bevorsteht.
Der 31. Dezember ist Krügers letzter Arbeitstag, dann verlässt der 70-Jährige den Verlag, den er fast 45 Jahre lang geprägt hat. Sein Nachfolger wird Jo Lendle, der - wie Krüger - auch selbst Autor ist und bislang für den DuMont Buchverlag gearbeitet hat. Lendle wurde 1968 geboren. Das war das Jahr, in dem Krüger zu Hanser kam.
Mit Krüger geht ein Verlegertyp, den es so kaum noch gibt. Er ist einer, der „dem Netz“, wie er das Internet nennt, mehr als skeptisch gegenübersteht, von E-Books noch weniger hält als von Computern, und dem jahrzehntelang vor allem eins wichtig war: die Unabhängigkeit seines Verlagshauses. Hanser ist einer der wenigen verbliebenen bedeutenden Verlage in Deutschland, die keinem großen Konzern angehören.
Auf einem deutschen Buchmarkt, den drei große und international agierende Konzerne - Bertelsmann, Holtzbrinck und Bonnier - weitgehend unter sich aufgeteilt haben, erinnert Krüger daran, wie es früher einmal war - und worum es ihm auch immer noch geht.
„Dieser Verlag ist ein unabhängiger Verlag. Es war auch die Idee von Herrn Hanser, den ich ja noch kannte, dass dieser Verlag unabhängig bleiben soll“, betonte Krüger zu seinem 70. Geburtstag Anfang Dezember. „Jetzt könnte man sagen, in der modernen Welt ist das wurscht, aber ich habe das immer als ein hohes Gut empfunden.“ An die Adresse seines Nachfolgers sagt er: „Ich kann ihm nur raten, alles dafür zu tun, dass er unabhängig bleibt. Ansonsten muss er selbst sehen, wie er seine eigene Handschrift hier reinbringt.“
Unter Krügers Führung wurde der Verlag zu einer erstklassigen Adresse im deutschen Literaturbetrieb. Zahlreiche Hanser-Autoren sind mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden, darunter Herta Müller und Orhan Pamuk. Der Verleger und Dichter Krüger erarbeitete sich den Ruf als einer der besten Kenner der Literaturszene und gilt als einer der führenden Intellektuellen des Landes - große Fußstapfen für Lendle.
„Ich habe allergrößte Hochachtung, weil es ein schöner und wichtiger Verlag ist. Aber Muffensausen habe ich nicht“, sagte der künftige Verleger Lendle im Sommer. „Hanser ist kein Verlag, den man neu erfinden muss. Zu seiner Tradition gehört es, Neuentdeckungen zu machen, mit jedem Programm zu überraschen, das will ich mit Inbrunst tun.“
Krüger will seine Energie künftig in sein Amt als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste stecken will. Und natürlich ist das Ich, das aus seinem jüngsten Gedichtband spricht, ein lyrisches. Das Resümierende und die Melancholie, die aus vielen Gedichten sprechen, passen zu seinem Abschied. „Es ist Mai, und ich lese in einem der unaufgeschnittenen Bücher, daß mein Leben bereits aufgeschrieben ist, Jahr für Jahr. Auf der letzten Seite steht, wie mein Leben hätte werden sollen, aber nicht geworden ist“, heißt es in Krügers Gedicht mit dem Titel „Mai“. Das Gedicht „Kein Haiku“ ist eher ein Aphorismus: „Eine tote Amsel vor meinem Fenster. Ich warte eine Stunde auf die Umstellung der Zeit.“