Vermisste Kinder „Ungewissheit ist das Schlimmste“
In NRW werden 13 Kinder schon seit Jahren vermisst. Für die Eltern eine unerträgliche Situation.
Düsseldorf. Sandra wäre heute 30 Jahre alt. Hätte vielleicht studiert, eine Ausbildung gemacht, eine eigene Familie gegründet. Doch seit ihrem zehnten Lebensjahr ist ihr weiterer Lebensweg völlig unbekannt. Genau vor 20 Jahren verschwand die damals Zehnjährige, nicht weit von ihrem Elternhaus in Dortmund entfernt. Die Polizei ging vielen Hinweisen nach. Keiner wies den Weg zu der Schülerin. Sandra gehört zu den 13 Mädchen und Jungen, die in Nordrhein-Westfalen langzeitvermisst werden.
Mehr als 100 000 Kinder werden deutschlandweit pro Jahr als vermisst gemeldet. Die meisten tauchen nach kurzer Zeit von alleine wieder auf. Andere werden durch das Engagement der „Initiative Vermisste Kinder“ wieder in ihre Familien zurückgebracht. Wieder andere, so wie Sandra, werden bis zu 30 Jahre offiziell von der Polizei gesucht. Danach schließt diese die Akten.
Den erst kürzlich verschwundenen oder auch den seit Jahrzehnten verschollenen Kindern gehört der kommende Montag. Der Tag der vermissten Kinder wird in Deutschland von der „Initiative vermisster Kinder“ ausgerichtet. Der Verein ist nach eigenen Angaben einer der größten in diesem Bereich und vertrete das Land in der Europäischen Union und der Welt als Mitglied eines globalen Netzwerks. Er ist in Deutschland zuständig für die europäische Notrufhotline und ist der Partner, über den für Deutschland der nationale Amber Alert — also die schnellstmögliche öffentliche Alarmierung bei einer Vermisstenmeldung — ausgelöst werden kann.
Dass verschwundene Kinder verstärkt über Medien und soziale Netzwerke gesucht werden, erleichtert die Ermittlungen enorm. Gibt es Anzeichen für eine Entführung, dann sollten nach Ansicht der Initiative innerhalb weniger Stunden möglichst viele Menschen informiert werden. Das allerdings mit Struktur, denn Facebook-Posts ohne Quellenangaben oder sachliche Beschreibung sind meist wenig hilfreich. „Da ist unser Wunsch, dass das von der Polizei kanalisiert werden sollte“, erklärt Lars Bruhns als Vorsitzender der Initiative. So könne es vielleicht gelingen, noch mehr Kinder zu ihren Eltern zurück zu bringen.
Auch die Eltern von Deborah aus Düsseldorf suchten ihre Tochter mit Hilfe der Medien. Erst 2012 trat die Mutter in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY auf. Ihre damals achtjährige Tochter hatte 1996 die Schule durch den Hinterausgang verlassen - und ist seitdem wie vom Erdboden verschluckt.
„Für die Angehörigen von Vermissten gibt es nichts Schlimmeres als Ungewissheit“, sagt der Sprecher des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, Frank Scheulen. Dauert die Qual der Ungewissheit über viele Jahre, sind Angehörige oft dankbar, wenn dann schließlich etwas gefunden wird - selbst wenn es nur sterbliche Überreste sind. „Endlich kann es ein Grab geben und die Trauerbewältigung beginnen. Ungewissheit macht die Menschen kaputt“, sagt Scheulen.
Damit mehr Kinder gesund und vor allem lebend zu ihren Eltern zurück kommen, muss der Zeitablauf schneller sein, ist Lars Bruhns überzeugt.
„Bei Fällen, in denen Kinder entführt wurden, beträgt die Überlebenschance wenige Stunden. Es gibt fast keinen Fall aus der Vergangenheit, wo das Kind den Tag der Entführung überlebt hat.“Die Fahndung in den ersten Stunden diene ausschließlich dazu, das Leben des Kindes zu retten.