Verleger aus Berufung: Wolf Jobst Siedler gestorben

Berlin (dpa) - Von der „Möwe Jonathan“ bis zu einer deutsch-deutschen Bismarck-Biografie: Als Verleger spannte Wolf Jobst Siedler einen weiten Bogen.

Er veröffentlichte die Memoirenbände von Michail Gorbatschow und Helmut Schmidt sowie die wohl bekannteste Biografie von Adolf Hitler. Mit Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“ löste er eine heftige Debatte über den Antisemitismus in Deutschland aus, in eigenen Bücher polemisierte er gegen die Nachkriegsarchitektur in Berlin. Siedler, ein Verleger aus Berufung und ein Publizist aus Passion, ist am Mittwoch im Alter von 87 Jahren gestorben.

Wie nur wenige Persönlichkeiten prägte Siedler die Buchlandschaft der Bundesrepublik entscheidend mit. „Große Geschichtsschreibung ist immer auch große Literatur“, lautete der Anspruch an seine Autoren. Fast 20 Jahre leitete Siedler die Verlage Ullstein und Propyläen und von 1980 bis 1998 den von ihm zusammen mit Jochen Severin gegründeten Siedler Verlag, der inzwischen nach München umgesiedelt ist.

Bei Propyläen erschienen internationale Bestseller wie die Hitler-Biografie von Joachim Fest und die Tagebücher von Hitlers Architekten Albert Speer. Dass das Thema Architektur in Siedlers Leben eine große Rolle spielte, versteht sich von selbst: Ein Vorfahre war der Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, Johann Gottfried Schadow.

Das erfolgreichste Buch seiner Verlegerkarriere wurde die 1972 erschienene „Möwe Jonathan“ von Richard Bach - eine „Petitesse“, „ein "Kleiner Prinz" für Krankenschwestern“, wie Siedler zunächst dachte. Von dem Buch wurden bis heute bereits mehr als eine Million Exemplare verkauft.

Im Siedler Verlag erschienen auch die Gesamtausgabe des Nachlasses von Konrad Adenauer sowie die Memoiren von Michail Gorbatschow, Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß. 1985 gelang ihm der Coup, eine Bismarck-Biografie in beiden deutschen Staaten herauszubringen. Einen spektakulären Sachbucherfolg sicherte sich Siedler Mitte der 90er Jahre mit Daniel Goldhagens umstrittenem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“.

Siedler ging es ebenso um den gesellschaftlichen Disput wie auch um die Legitimation der eigenen Arbeit. Parteiennähe hat der 1926 geborene Berliner und kritische Schöngeist immer gemieden. Mehrmals schlug er den Posten des Kultursenators in Berlin aus.

Auch wenn Siedler stets den Standpunkt verteidigte, ein Verleger solle sich hüten, ein „Missionar“ zu sein, so plädierte er für Ethos und Niveau in seinem Berufsstand. Diese Position vertrat er auch als Journalist, etwa als Feuilletonchef des Berliner „Tagesspiegels“ von 1955 bis 1963.

In einer Rede vor Buchhändlern appellierte Siedler 1990 an die Verlagshäuser, auch bei einer Expansion das Verhältnis von Geist und Kommerz nie außer Acht zu lassen. „Von einem gewissen Augenblick an muss man sich fragen lassen, wozu man groß geworden ist.“ Wie sein großes Vorbild, der Buchhändler und Verleger der Aufklärung Friedrich Nicolai (1733-1811), war Siedler bewegt „vom Glauben an die Erziehbarkeit des Menschengeschlechts“.

Im Jahr 2000 erschien der erste Band seiner Memoiren mit dem Titel „Ein Leben wird besichtigt“. Vier Jahre später folgte der Band „Wir waren noch einmal davongekommen“. Eine profunde Stadt- und Kulturgeschichte des Nachkriegs-Berlin oder, wie ein Kritiker meinte, „ein fabelhafter Berlin-Roman“.

Als Klassiker auf dem Gebiet der modernen Architektur gilt das Buch des Verlegers „Die gemordete Stadt“ von 1964 über Bausünden im westlichen Nachkriegs-Berlin. Nach der Wiedervereinigung veröffentlichte er 1998 den Band „Phönix im Sand. Glanz und Elend der Hauptstadt“. So sehr er die neuen Bauten in Berlin als „Warenhaus der Weltarchitektur“ aufs Korn nahm, hat er den Streit um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses nie verstanden. „Das Schloss war Berlin.“ Siedler glaubt bei aller kritischen Sicht auf seine Vaterstadt fest daran, dass Berlin immer wieder auf die Beine kommt, weil sein Mythos unzerstörbar sei.